Dienstag, 14. April 2015

Klein - Stark - Schwarz! Ausprobiert: BMW G650GS

Der freundliche Tullius hat sich echt bemüht. Nachdem ich eifrig genickt hatte auf seine Frage, ob er mir "die da" als Ersatzmaschine anbieten könne, hat er sie vor die Tür geschoben und mir die Feinheiten erklärt. Im Prinzip nichts, was ich jetzt in meiner, bislang kurzen, Motorradfahrerinnenkarriere nicht schon gehört hätte.
Wie er fast fertig ist, fährt ein Wagen vor, aus dem eine blonde Frau, etwa meines Alters, steigt und erschrocken fragt, ob er sie verkauft hätte. Nein, nein, beschwichtigt er, sie macht nur eine Probefahrt! Die Frau ist erleichtert. 
Als die Beiden rein gegangen sind und mich meinem Schicksal überlassen haben, schaue ich die Maschine mir noch einmal aus der Nähe an. Hübsch, schwarz, glänzender Lack und - 56 Kilometer auf der Uhr. Ups, die ist neu.
Ich schwinge mich auf den Sattel. Ein Gefühl von Mokick. Die Maschine ist niedrig, schmal und in Allem etwas schmächtig. Etwa so, wie seinerzeit in der Fahrschule die 500er Honda.
  Ein Gefühl von Mokick?
Man muss sich das mal vor Augen führen. Ich sitze auf einer 650ccm Maschine und denke "Huch, ist die klein!" Vor nicht allzulanger Zeit wäre so etwas ein Wahnsinnshammer gewesen. Für mich ohnehin.
Ich habe ja schon einmal auf so einer Maschine gesessen, als ich nach einem geeigneten Motorrad für mich gesucht habe. Damals schon war sie viel zu klein für mich. Ich war zum freundlichen Tullius gefahren und hatte nach einer G650GS Sertao gefragt. Die war aber nicht da, nur die etwas niedrigere Schwester. Jetzt habe ich Gelegenheit diese niedrigere Schwester mal im Betrieb zu erleben. Gespannt drehe ich am Schlüssel. Die Instrumente vor mir beginnen zu leben. Dann der Druck auf den Startknopf. 48 PS erwachen. Das Geräusch ist angenehm, allerdings nicht markig und es gibt erwartungsgemäß etwas mehr für's Gefühl. Das stampft ganz schön. Ich drehe am Griff, die Fahrt beginnt.
Was mir sofort auffällt, die lenkt sich ganz anders. Darauf muss ich mich noch einstellen. An der Ampel biege ich in Richtung Innenstadt ab. Noch weiß ich nicht, daß dieser Nachmittag es in sich hat und Stau auf mich wartet, wohin ich auch ausweiche.
Im Stadtverkehr stelle ich fest, daß ich mit der Maschine - und vermutlich dazu noch mit meiner gelben Jacke - von den Autofahrern und anderen Zweiradlern nicht so recht ernst genommen werde. Die Silhouette wird es wohl sein.
Zuerst denke ich auch, da kommt nicht viel wenn ich am Griff drehe. Der Eindruck ist aber sehr verkehrt. Es hört sich lediglich anders an und es schiebt aus den 48 PS jetzt auch nicht so mächtig, das ist richtig, aber als ich auf den Tacho blicke, fahre ich schon etwas schneller als die verlangten 50. Ich habe mich von dem Tucktucktuck des Motors einlullen lassen. Mit ein paar Umdrehungen ist man da schon weiter als man meint.
  Nach dem Chaos wird es leicht
Als ich mich aus dem ganzen Chaos rund um die Mainzer Brücken befreit habe, und auf der Bundesstrasse Bodenheim entgegenstrebe, bemerke ich etwas Unruhe im Fahrwerk. Die Front scheint leicht zu werden. Ich beuge mich weit nach vorne. Zudem werden die Vibrationen stärker. Dafür kann ich aber, als ich wenig später zwischen den Rheinhessischen Dörfern auf der Landstrasse unterwegs bin, beinahe mit dem Hintern lenken. Etwas Gewicht verlagert und schon biegt das ab.
Durch die fünf Gänge, die sie bietet, schaltet man sich sehr exakt und man vermisst die Ganganzeige keinen Moment.
So erreichen wir dann letztlich nach dem ganzen Stau gestehe doch noch die Garage. Das stehen im Stau hat geschlaucht. Erst einmal ist Feierabend nun. Am anderen Morgen schaue ich mir die Maschine genauer an.
Schwarz, neu und relativ komplett
Die Gußfelgen sehen recht hübsch aus und die Bodenfreiheit ist ganz ordentlich
Die Maschine verfügt über einen Hauptständer, das Aufbocken geht damit auch recht einfach. Für mich war der Seitenständer etwas gewöhungsbedürftig angebracht, das liegt aber daran, daß ich es einfach anders kenne. Das Cockpit überfordert nicht mit Informationen in der Anzeige, oder vielen kleinen Schalterchen. Es gibt die Kilometerzähler, die Uhr und fertig. Keine Ganganzeige, keine Anzeige für Temperaturen, keine permanente Tankanzeige. Dafür gibt es zwei Tageskilometerzähler. Der Drehzahlmesser hat ein Balkendesign, ist aber echt nicht gut ablesbar. Am besten fährt man da nach Gehör.
An der Verkleidung, neben dem Kombiinstrument, sind die Schalter für die Warnblinkanlage und die Griffheizung angebracht. Für letztere gibt es keine Anzeige, die Schalterstellung verrät, auf welcher Stufe die Finger gegart werden.
Das Ganze ist zwar recht spartanisch, aber nicht unangenehm.
Der Griff für die Kupplung kann im Gegensatz zu dem für die Handbremse eingestellt werden.

Die Bremsen greifen ordentlich und man hat die Fuhre jederzeit unter Kontrolle. Was mir etwas klein erscheint, das sind die Fußrasten für den Fahrer.

Etwas überrascht war ich über die Lage des Ölstabes. Ihn hatte ich zuerst mal am Motor gesucht und dort natürlich nicht gefunden. Als ich dann die Öffnung finde, überlege ich mir erst einmal, was da wohl für ein Stab drinnenstecken mag und ob er sich für Auseinandersetzungen mit anderen Verkehrsteilnehmern eignen könnte. Als ich den Deckel abschraube folgt die Ernüchterung. Er ist eher ein Stummel, keine Handbreit lang.

Was echt einfach geht, das ist das Einstellen der Vorspannung des Federbeines. Der Griff ist ideal angebracht und lässt sich kindereinfach bedienen. Für die Dämpfung muss man allerdings einen Schraubenzieher zücken und nach dem Schraubenschlitz suchen.

Unter dem Sitz finden sich zwei Auspuffrohre. Eigentlich eines zu viel für einen Einzylinder. Aber: Gesa hat zwei Zylinder und nur einen Abgasauslass, warum soll das anders herum nicht auch gehen. Der Topf auf der linken Seite entpuppt sich allerdings als reiner Resonanztopf, aus seiner hinteren Öffnung kommen keine Gase. Diese Aufgabe hat der rechte Topf alleine zu tragen.

Was begeistert, das ist der serienmäßige Gepäckträger und das Staufach unter ihm. Von letzterem sollte man sich aber nicht zu viel erwarten. Dort drinnen befindet sich nämlich auch der Griff, mit dem man die Sitzbank entriegeln kann.
Ein Verbandspackerl (in Österreich zum Beispiel Pflicht) passt auf jeden Fall hinein. Die Sitzbank ist leicht ent- und verriegelt, darunter findet man das Bordwerkzeug.
Nach meiner Runde ums Motorrad mache ich mich auf den Weg zurück, über den Rhein. Vorher stelle ich allerdings die Vorspannung des Federbeines noch richtig ein. Es zeigt sich, daß ich jetzt ein ganz anderes Motorrad habe. Das Lenken läuft nun wieder etwas mehr so ab, wie ich es gewohnt bin. Dennoch bleibt die Leichtigkeit beim Fahren erhalten. Von Partenheim geht es in Richtung Saulheim, Kurven und wenig Verkehr, und schlechte Wegstrecke. Das macht wirklich Spaß, die Maschine überfordert nicht und besonders laut ist sie auch nicht. Von Saulheim fahre ich am Postzentrum hinab nach Nieder Olm. Als die 80 fallen, gebe ich Gas. Ich bin irritiert. Kann ich nicht mehr richtig sehen? Die Verkehrszeichen verschwimmen in der Ferne. Das sind die Vibrationen! Habedehre! Das geht durch Mark und Bein. Das haben also Tester der "Sertao" gemeint mit "etwas störenden Vibrationen" ab soundoviel Touren. Ich lasse es wieder langsamer angehen und schlängele mich auf die andere Rheinseite. Jetzt, wo ich die Vorspannung angepasst habe, ist die Front nicht mehr ganz so leicht. Aber die Tendenz spüre ich immer noch. Ich schiebe das mal auf mein Eigengewicht. Die Kilo siebzig, die sie können soll, möchte ich allerdings mit ihr nicht fahren.

Bald 140 Kilometer habe ich am Ende mit der G650GS zurückgelegt. Sie ist ein freundliches, kompaktes Motorrad, mit Ambitionen zum Ausritt ins Gelände. Sie überfordert zu keinem Zeitpunkt und lenkt sehr schön zielgenau. Sollte man allerdings ein Adjektiv für sie zu finden haben, das sie am Besten charakterisiert, dann wäre es "spektakulär" vermutlich nicht. Ich möchte sie nicht als "Einsteigermotorrad" abqualifizieren. Denn das ist sie durchaus nicht. Sie ist ein Motorrad auf dem man jeden Tag seine Freude haben kann und die einen treu durch den Alltag begleiten wird. Ein Alltagsmotorrad im besten Sinne.


Update 23.12.2015
Wenn ich das richtig sehe, dann wird es die G650GS im kommenden Jahr, also 2016, zumindest in Deutschland nicht mehr geben. Auf der Webeseite ist sie zwar noch verzeichnet, aber im neuen MOTORRAD Katalog ist sie nicht mehr enthalten. Das war schon bei der Sertao ein untrügliches Zeichen. Sollte also der letzte große Einbaum von BMW nun Geschichte sein? Es wäre Schade drum. Wer noch eine haben möchte, der sollte sich beeilen, vielleicht kann er ja noch ein Schnäppchen machen.

16 Kommentare:

  1. Tzaaaaaa! Mit 80 cm Sitzhöhe ist sie zu klein ... 80 cm Sitzhöhe wären für mich ein absolutes Tieferlegungs-Kriterium ... oder ein 'no-go' ... *lach* ...

    Du hast einen sehr schönen Test-Bericht geschrieben. Sauber, da geht der Daumen eindeutig hoch :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das sind immerhin 15 cm weniger als bei Gesa... Mir kam es sogar noch weniger vor. Vielleicht weil sie so schmal war.
      :)

      Löschen
    2. Ich kann ja nichts dafür...!

      Löschen
  2. Schöner ErFAHRungsbericht. Ach ja, die Vibrationen... die hatte ich bei meiner F650 auch zur Genüge. Spätestens nach 200km auf dem Bock hatten sich diese dann auch in Beinen, Po Armen und Händen verewigt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich fand es sehr spannend endlich auch mal so ein Motorrad zu fahren. Das war schon eine spezielle Erfahrung. Mal sehen, was ich demnächst mal ausprobieren werde.
      Mit den neuen Reifen habe ich zwar auch Vibrationen jetzt, die sind aber meilenweit von denen entfernt, die ich auf der "kleinen" hatte.

      Löschen
  3. Gesa hat 95cm Sitzhöhe? Reschbeckt...da bin ich mit 91 ja noch niedrig...
    Kommst da ohne Steigbügelschritt drauf?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Doch ja, einen Kran, wie bei den Rittern, brauche ich keinen. :) Nur mit Gepäck, da wird es ein ganz klein wenig unelegant. Da muss ich mir noch mal die ideale Methode ausdenken. Eine, die nicht binnen kurzer Zeit den Seitenständer killt.

      Löschen
  4. Schön geschreiben, ich konnte richtig mitfahren mit Dir und der "Kleinen".

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es ist unheimlich spannend, was man bei so einer Fahrt alles lernen kann. Diese Sache mit der Federvorspannung hätte ich vermutlich anders nicht so deutlich gezeigt bekommen.

      Löschen
  5. Jaja, eine Schwester vom Gelbschen. Schön, das sie dir gefällt. Mir nämlich auch ...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, das ist ein echt liebes Motorrad, bei dem dir die alten Damen auch dann noch freundlich zuwinken, wenn du damit im Stadtpark durch die Rabatten pflügst. Das ist ein Bonus, den man nicht so oft findet.

      Löschen
    2. Hmpf, dann gehöre ich wohl auch zu den alten Damen inzwischen.

      Löschen
    3. :) Wenn Du so willst, ich auch! Ich würde auch freundlich winken!

      Löschen
  6. Toller Bericht einer Probefahrt!!! Ich habe vorige Woche, bei BMW Kohl in Aachen, mal auf einer F650GS, einer F700GS und einer F800GS zur Probe gesessen –sind schon tolle Maschinen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ohne jetzt wirklich Werbung für BMW machen zu wollen, das was die als Paket einem da auf den Hof stellen, spielt schon in einer recht hohen Liga. Und wenn man sich den Preis dafür ansieht, der ist zumindest bei den dreien, auf denen Du da zur Probe gesessen hast, nicht zu hoch.

      Löschen