Donnerstag, 27. August 2015

Zeitenreise 2015 Tag 5 Hoywoy - Dir sind wir treu!

+++29.05.2015+++


"Hoywoy, dir sind wir treu, du blasse Blume auf Sand!
 Heiß, laut, staubig und verbaut, du schönste Stadt hier im Land! (...)"
Gerhard Gundermann, Hoy Woy; Männer, Frauen und Maschinen; 1988


Die Sonne scheint bereits, als mich mein Wecker aus den Träumen reißt. Ich rolle mich aus dem bequemen Bett und reibe mir die Augen. "Auf, los, los!" treibe ich mich an und stolpere ins Bad. Rasch habe ich mich gewaschen und bin in die Motorradklamotten gesprungen, noch eben die Haare zusammengenommen und dann bin ich schon fertig fürs Frühstück.
Ich gehe aber erst einmal zu Gesa und entferne das Bremsscheibenschloß. Dabei unterhalte ich mich mit dem Hund des Hauses, der eine offen stehende Tür genutzt hat, um sich in der Nachbarschaft umzusehen. 
In der Gaststube sitzt nur das Pärchen von gestern Abend und frühstückt. Für mich ist ein Tisch neben ihnen eingedeckt. Es gibt kein Buffet, dafür aber einen Teller mit Aufschnitt, leckere Brötchen und ein Frühstücksei. Und - ganz wichtig - eine Kanne Kaffee für mich ganz alleine. Das Frühstück ist unerhört lecker und alle mir zugedachten Brötchen sind im Nu verschwunden. Das Pärchen neben mir überlegt, heute mit dem Fahrrad zu fahren, der Wirt hat ihnen auch schon zwei nach draußen vor die Tür gestellt. So recht entschieden scheinen sie aber noch nicht zu sein. Mein Tagesprogramm steht hingegen schon so ziemlich.
Während meine Nachbarn noch mit dem Wirt ein Problem mit dem Fernseher erörtern, bin ich schon auf dem Weg nach oben und hole meine Jacke, den Helm und den Tankrucksack. Keine fünf Minuten später bin ich bereits verschwunden. Vorher habe ich noch den Hund, dessen Ausflug mittlerweile bemerkt wurde, am Halsband gegriffen und mit der Mutter des Wirts durch die Hoftür bugsiert.
Erst mal tanken. Auf dem Weg in die Stadt finde ich eine Aral Tankstelle und beschließe hier Gesas Lieblingsbenzin zu zapfen. Dann habe ich für den Rest des Tages Ruhe.
Ich kontrolliere noch eben die Luft in den Reifen, es ist noch welche da, und rolle dann weiter in Richtung Stadt. Zuerst drehe ich eine Runde durch die Innenstadt, grüße einen weißbärtigen Harleyfahrer und finde dann einen dm - Markt, den es laut Internetseite gar nicht geben dürfte. Prima, hier kann ich Filme einkaufen. Ich habe etwas mehr fotografiert in den ersten Tagen als ich dachte und so kommt mir das sehr gelegen, bevor ich am bevorstehenden Wochenende und anschließend dann im Budni - Land, am Ende ohne was da stehe.
Die Kassiererin wundert sich über nichts, als ich ihr erzähle, daß es die Filiale gar nicht gibt. Wir lachen noch kurz darüber und dann bin ich auch schon wieder mit Gesa unterwegs um einen geeigneten Platz zu suchen, wo sie stehen kann, während ich mich in der Stadt umsehe.
Dieser Platz ist bald gefunden und ich lasse alles bei Gesa, Tankrucksack und Helm und nehme nur die Kameras mit. Das Geld und die Papiere habe ich ohnehin immer in einer Gürteltasche. Wenn, dann könnte man höchstens sich an der Wasserflasche vergehen.
Tom hatte als erstes gesagt "Da pass aber auf Dich auf, wenn Du da hinkommst!" als ich erzählt hatte, ich würde nach Hoyerswerda (sorbisch Wojerecy, daher "Hoywoy") reisen. Immer noch sind die Bilder des Mobs bei den Ausschreitungen gegen ein Wohnheim im Jahre 1991 prägend für die Außenwahrnehmung der Stadt. Was also suche ich hier? Ich versuche es mal zu erklären. Neugier. Das ist zunächst mal die treibende Kraft hinter allen Entdeckungsreisen. Aber ich verbinde mit Hoyerswerda mehr. Eine Freundin meiner Mutter kam von hier, Gisela hatte immer sehr warm von ihrer alten Heimat gesprochen, von der man auf der anderen Seite der Elbe kaum mehr wußte, als daß es sich um eines der Zentren des Braunkohlebergbaus handelte. Entsprechend düster stellte man sich die Szenerie vor. Dann war ich, irgendwann Mitte der neunziger, an den Liedermacher Gerhard Gundermann geraten und seinen Texten und der unvergleichlichen Art seines Vortrages verfallen. Gerhard Gundermann war nicht nur Sänger, er übte zudem auch einen "normalen" Beruf aus. Er fuhr Bagger. Dieser Bagger, den er bediente, war nicht etwa ein kleiner gelber Baustellenbagger, nein, es war eines der Tagebaugroßgeräte, die Hochhaushoch und hunderte Tonnen schwer, sich mit riesigen Schaufelrädern durch die Landschaft fressen. Als Gundermann im Jahre 1998 plötzlich verstarb, hinterließ er mehr als nur ein Loch. Mittlerweile sind manche der Löcher, an denen er im Arbeitsleben beteiligt war, ausgekohlt und laufen mit Wasser voll, aber seine Lieder haben von ihrer Aktualität nichts verloren. Im Gegenteil.
Der dritte Grund, warum mich ausgerechnet Hoyerswerda so gereizt hat, ist Micha. Ihn habe ich in der Fotocommunity kennengelernt und wir haben uns oft geschrieben. Fast täglich. Bis auf einmal der Kontakt abbrach. Keine Antwort mehr. Auf keinem Kanal. Er lebt wohl noch, Tom hat auf einer der sozialen Medienplattformen mal geschaut, aber er gilt für mich als verschollen. Ich hatte zunächst überlegt, ob ich ihn suchen sollte wenn ich dort bin, aber letztlich habe ich mich dagegen entschieden. Er wird seine Gründe haben, warum er sich nicht mehr meldet.
Nun stehe ich also in Hoywoy und schaue mich um. Gründerzeitbauten, schön hergerichtet, nette Läden. Ich finde eine Altstadtgasse mit niedlichen kleinen Häuschen, die ich eigentlich in einer solchen Stadt nicht erwartet hätte. Es hat etwas beinahe dörfliches. Die Häuschen leuchten in bunten Farben und sind alle propper herausgeputzt. Ich komme an den Marktplatz. Hier stehen auch ein paar Neubauten aus verschiedenen Epochen nach dem Krieg. Vor einem Eiscafé sitzen schon zu dieser vormittäglichen Uhrzeit eine Reihe Leute. Alles macht einen netten, ruhigen Eindruck. Ich mache ein paar Bilder und laufe langsam zu Gesa zurück.
Ich drehe mit ihr noch eine kleine Runde durch die Neustadt und mache dann, als ich auf der Ausfallstraße bin, am Waldfriedhof Halt. Hier liegt Gundermann begraben. Eigentlich habe ich immer den Kopf geschüttelt, wenn ich von anderen Leuten gehört habe, sie hätten das Grab eines bekannten Künstlers besucht. Nun stehe ich selbst auf einmal vor einem kleinen braunen Stein, etwas zugewachsen, auf dem einfach nur "Gundi" steht. Mit meiner leuchtgelben Jacke komme ich mir reichlich deplatziert vor und suche auch bald das Weite.

Ich fahre durch Kiefernwald, bis ich nach ein paar Kilometern ein Schild sehe, das zu einem Aussichtspunkt am Scheibesee führt. Ich stelle Gesa am Parkplatz ab und laufe ein paar Meter, bis ich vor einer Begrenzung stehe und auf den See schauen kann. Wenn man kleiner ist als ich, dann wird man kaum etwas erkennen können. Ich kann dagegen auf der anderen Seite des Sees in der Ferne das Kraftwerk Boxberg sehen.
Neben mir ein Hügel aus Sand, er erinnert mich ein wenig an die Heide bei Undeloh. Mit dem Unterschied, daß der See vor mir nicht immer ein See war, sondern vor ein paar Jahren noch ein tiefes schwarzes Loch in der Landschaft. Hier war einer der Tagebaue, die die Gegend um Hoyerswerda so geprägt haben.
Zurück auf dem Parkplatz unterhalte ich mich kurz mit einem Inlineskater, der gerade dabei ist, seine Skates anzuziehen und in der Kofferraumöffnung seines Autos sitzt. Er schätzt die langen, geraden, gut ausgebauten Fahrradwege hier und dreht hier regelmäßig seine Runden.
Gesa und ich verabschieden uns und fahren erst einmal auf der S108 weiter in Richtung Lohsa. Die Staatsstraße windet sich wunderbar durch die Landschaft, die stellenweise sehr an Norddeutschland erinnert. Ausgedehnte Heideflächen liegen zu meiner Rechten, dann geht es über grüne Hügel, durch kleine Dörfer, einmal überhole ich einen kleinen LKW, dann ist wieder auf Kilometer kein Fahrzeug zu sehen. Bis etwas unvermittelt mitten im Wald, auf einer Lichtung, von links die B 156 dazustößt. Nun gibt es etwas mehr Verkehr. Immer wieder erblicke ich kleine Seen links und rechts der Straße. Hinter der Autobahn nimmt der Verkehr plötzlich stark zu. LKW an LKW, Autos, Busse. Hier ist was los. Vor dem Verkehr in Bautzen hatte man mich heute morgen beim Frühstück schon gewarnt. Es soll einen neuen Kreisverkehr geben, der die ganze Stadt lahmlegt. Ich stehe schließlich ebenfalls im Stau. Zwar kann ich mich ein wenig nach vorne mogeln, aber wirklich weit hat mich das nicht gebracht. Zudem lande ich mitten im Bautzener Frühling, einem Volksfest, das heute abend eröffnet wird. Jetzt zu Mittag ist auch schon Highlife auf den Plätzen, ein DJ gibt was er kann und an Ständen wird Essen verkauft.
Ich war zwar schon mal in Bautzen, Budyšin, aber ich habe keine Orientierung mehr. Zu lange ist das mittlerweile her. Ich bin auch von einer anderen Seite in die Stadt gekommen als damals. Mitten in der Stadt thront ein nagelneues Einkaufszentrum, das sich unheimlich störend vom restlichen Stadtbild abhebt. Es ist so neu, daß auf der Rückseite unter der Treppe, die ich als Parkplatz nutzen könnte, noch Rockwoolrollen liegen. Ich irre also etwas planlos mit Gesa umher und finde nicht wirklich einen Parkplatz. Daß heute Freitag ist, erleichtert es vermutlich nicht. Auf meiner Suche komme ich aber auf einige wirklich tolle Wege, die - auch wenn nicht immer hundertprozentig legal von mir befahren - mich unten an der Stadtmauer entlang und unter der Brücke über den Graben hindurch führen. Schließlich gelingt es mir doch noch einen guten Platz für Gesa zu finden, der innenstadtnah liegt und nichts kostet. Aber kaum, daß ich sie dort abgestellt habe, hält neben mir ein LKW und fährt seine Ladebordwand herunter. Mitten auf der Straße. In aller Seelenruhe. Ein Autofahrer, der hinter ihm fuhr, beißt bald ins Lenkrad. Er brüllt aus dem Fenster raus und gestikuliert. Aber der LKW Fahrer läßt sich nicht beeindrucken. Ich bleibe erst mal bei Gesa stehen, denn wer weiß, am Ende kommt der junge Hitzkopf noch auf die Idee, forsch am Laster vorbeizupreschen und nimmt dabei Gesa mit. Von der anderen Seite versucht sich ein VW Bus an alledem vorbeizuschieben und verpfropft nun endgültig die Engstelle. Nun kommt wirklich keine Maus mehr durch. Ich bange ehrlich um meine Maschine und versuche sie noch ein wenig weiter an den Bordstein zu schieben. Lieber das Auto vor mir, als Gesa. Nach einer knappen Viertelstunde kommt der LKW Fahrer zurück, immer noch seelenruhig und entflicht die am Rande des Entgleitens befindliche Lage, indem er einfach weg fährt. Auf einmal ist alles wieder in Ordnung, die Autos setzen sich wieder in Bewegung und keine zwei Augenblicke später herrscht wieder tiefster Friede in der Gasse. Ich beschließe also eine kleine Runde durch die Stadt zu drehen.
Mit ein Grund, warum ich so gerne alleine unterwegs bin. Keine Herde im Gefolge.
Es sind aber, obwohl Mittag, schon reichlich viele Touristen unterwegs und rennen mich bald um, wenn ich mal anhalte, ein Bild zu machen. Ich kehre zurück zu Gesa.
Was mir auch hier auffällt, vorhin schon wieder, als ich durch das Industriegebiet nach Bautzen hineinkam, ist ein weiterer Grund, warum ich Sachsen so gerne mag. Hier haben insbesondere die jungen Frauen eine bemerkenswerte Offenheit für ausgefallene Kleidung. Geschmacklich nicht immer ins Schwarze, aber eigentlich immer originell.
Gesa und ich schlängeln uns aus der Altstadt hinaus und am Hauptbahnhof vorbei verlasse ich Bautzen und finde mich bald inmitten einer wunderschönen grünen Landschaft. Die Straße ist nicht besonders breit, stellenweise kaum breiter als ein guter Fahrradweg und so rolle ich gemütlich, zwischen Feldern und niedlichen Ortschaften, nach Hochkirch. 
Hier bin ich mir kurz uneins über die weitere Strecke und schaue lieber noch mal auf der Karte. Ich entschließe mich, meine Route in Richtung Niesky fortzusetzen. Zunächst wird mein Vorwärtsdrang kurz von einem geschlossenen Bahnübergang eingedämpft. Aber der Zug kommt bald und es geht rasch weiter. Nach wenigen Kilometern, in Rodewitz, erblicke ich vor mir eine Windmühle, diesmal mit Flügeln. Das ist die erste, die ich auf dieser Reise mit Flügeln gesehen habe!
In Rodewitz biege ich ab auf die Straße nach Wurschen. Huch! Was ist das? Rollsplit?! Aber wie hoch liegt der denn hier? Zentimeterdick türmt sich die Splitschicht auf der Fahrbahn. Gesa und ich schwimmen mehr, denn daß wir fahren. An Anhalten und Wenden ist gar nicht zu denken. Weiter, weiter, Gas, Gas! Wer hat sich denn so etwas ausgedacht? Da stand zwar ein Schild, aber solche Massen habe ich noch nicht gesehen.
Die Strecke könnte sehr schön sein, es geht in sanften Wellen zwischen Bäumen und Feldern hindurch, aber ich habe kein Auge dafür. Ich muss mich sehr konzentrieren, damit wir hier heile durchkommen.
Hinter Wurschen ist die Straße wieder normal und ich kann wieder entspannen.
Als ich hinter Melaune unter der Autobahn durch fahre, sehe ich aus dem Augenwinkel ein paar rote Balken über dem Ortsnamen Niesky. Ich beschließe, mir erst mal nicht viel daraus zu machen. In meiner Richtung stand schließlich nichts Gegenteiliges, also muss es hier nach Niesky gehen. Vielleicht war die Baustelle schon gewesen, oder sie kommt noch. Der Grad der Verunsicherung steigt aber dann doch bald wieder an, als ich an einem Sackgassenschild vorbeikomme. Darunter steht "in 6 Km". Hm. Hier aus dem Osten bin ich es gewohnt, daß man einfach erst mal weiterfährt, es wird schon einen Ausweg geben. In der Ansicht bestärkt werde ich auch von den Autos, die mir munter entgegenkommen und die in meiner Richtung unterwegs sind. Irgendwann, nach etwa sechs Kilometern, bewahrheitet sich allerdings das Sackgassenschild, das im Übrigen noch ein paar Mal wiederholt wurde. Da hätte ich Misstrauisch werden sollen. So fahre ich aber in Jänkendorf ab, als es nun tatsächlich nicht mehr weitergeht und rolle langsam durch das Dorf. Die anderen Autos waren alle vorher schon abgebogen, ich war die letzte, die hier weitergefahren war. Sollte hier wirklich Schluß sein? Getreu dem Motto "Vorwärts immer, Rückwärts nimmer!" schlängele ich mich also durch das Dorf. Ich komme auf einen Feldweg, der mich hinten um den Ort herumführt. Und dann - was ist das? Verkehrszeichen? Hey, das ist eine Straße. Eine provisorische zwar, aber eine Straße. Also Gas! Ich fahre durch die Felder und komme bald auf einen tiefschwarzen, sehr grobporigen Belag. Es lässt sich aber weiter gut darauf fahren und so folge ich der Strecke in den Wald. Da vorne steht ein Baufahrzeug, eine Walze, oder sowas ähnliches! Ich bin auf einer Baustraße gelandet! Die führt mich geradewegs mitten in die Baustelle. Ich beschließe, nicht als humoreskes Tageshighlight der Bauarbeiter zu enden und will umdrehen. Das ist nicht so einfach, wie gedacht. Dieser tiefschwarze Belag ist nicht wirklich fest. Es ist irgendein notdürftig verdichtetes Zeug, das sehr klebrig ist und ich stelle fest, daß, sobald ich langsamer fahre, ich beginne Spuren zu hinterlassen. Also zirkle ich Gesa mehr schlecht als recht auf dem Weg herum. Wozu habe ich eingentlich eine Enduro? - frage ich mich. Ich weiche auf ein Stückchen Gras neben der Fahrbahn aus und schwups - habe ich sie umgedreht und wir brummen in der entgegengesetzten Richtung davon.
Wieder in Jänkendorf halte ich an. Wie komme ich hier wieder weg? Mein Dickkopf verlangt von mir, daß ich nun unter keinen Umständen Klein bei geben kann und auf der Strecke zurückkehren, auf der ich gekommen bin. Da gibt es laut Karte noch einen Weg über Ullersdorf nach Wiesa. Also los! Da ist doch mein Ausweg. Zwar nicht ganz in der Richtung, in die ich will, aber ich bin nicht wählerisch. Die Niederlage ist eben noch abgewendet. Die Straße ist auch sehr viel schöner als der blöde Weg nach Niesky. Es geht auf winzigen Straßen durch winzige Ortschaften, ein kurzes Stück fahre ich zwischendrin auf einer Bundesstraße, und es ist alles ganz herrlich, bis ich in Horka schon wieder mit einer Umleitung konfrontiert werde. Egal, ich folge dieser Umleitung, das ist besser als einfach nur ein Sackgassenschild. Und so geht es parallel neben einer Eisenbahnlinie her und wir liefern uns ein kurzes Rennen mit einem Triebwagen der dabei ist die kleinen Stationen abzuklappern.
Nach ein paar Kilometern erreiche ich Rothenburg in der Oberlausitz, halte mich aber dort nicht lange auf, da es beginnt spät zu werden und ich heute noch einiges vor habe. Entlang an einem ehemaligen Militärflugplatz verlasse ich die Stadt und komme, vorbei an Ungunst, auf eine gut ausgebaute, zum Teil schnurgerade Straße durch den Wald. Zu meiner Linken befindet sich bald ein militärisches Sperrgebiet, das hatte ich auch auf der Landkarte gesehen und zu meiner Rechten verläuft irgendwo ein paar Meter weiter die Neiße. Und somit die Grenze zu Polen. Sehen kann ich sie aber nicht. Ich beschließe, bei der nächsten Gelegenheit rechts abzubiegen um die Neiße wenigstens mal zu sehen. Auf der Karte sah es näher aus. Aus dem Wald taucht ein Schild auf, "Klein Priebus" - Blinker rechts. Nach wenigen Augenblicken stehe ich an der Neiße! Das ist einer dieser Orte, von denen ich nie und nimmer angenommen hatte, daß ich sie sehen würde. Ich mache ein paar Bilder und drehe rum. Ich muss weiter.
Zurück auf der "Straße der Freundschaft" gebe ich ordentlich Gas. Hier ist niemand. Es geht kilometerweit gerade durch den Wald, kein Verkehr, Nichts, Niemand.
Nach einiger Zeit erst taucht wieder Besiedelung auf. Ich komme nach Muskau. Hier will ich hin. Muskau selbst offenbart sich mir als typische Grenzstadt. Es gibt noch einen alten Grenzposten, nahe der Neißebrücke, aber wo ist dieser Park? Der "Muskauer Park" ist es nicht, der ist hier ausgeschildert, den suche ich dieses Mal aber nicht. Ich bin schon fast aus der Stadt wieder draußen, als ich am Friedhof auf den Parkplatz fahre um rumzudrehen. Da sind Leute! Ich frage eine Frau, die am Kofferaum ihres Wagens steht. "Ja, da sind sie hier verkehrt, da müssen sie zurück und dann am Rat der Stadt rechts. Das können sie gar nicht verfehlen! Dann ist es irgendwann auch ausgeschildert." Ich bedanke mich und rolle zurück in die Stadt. Tatsächlich, an dem roten Gebäude steht "Rat der Stadt"! Dahinter geht eine Straße ab, die von meiner Position kaum zu sehen ist. Ich komme auf die Gablenzer Straße. In Gablenz ist es tatsächlich ausgeschildert. Nach wenigen hundert Metern biege ich auf einen Parkplatz ab. Ich bin am Kromlauer Park. Ich stelle Gesa ab und schließe den Helm an ihr fest. Den Tankrucksack nehme ich mit. Über die Straße und ich tauche ein in einen zauberhaft schönen Rhododendronpark. Jetzt, Ende Mai, blüht noch sehr viel davon und ein herrlicher Duft erfüllt die Luft. Die Farben leuchten besonders kräftig in dem etwas diesigen Spätnachmittagslicht. Ein wenig schaut es nach Regen aus.
Vor mir wandelt verträumt ein Gothik - Pärchen aus Augsburg, Wegweiser zeigen, wo sich die Attraktionen befinden.
Der Kromlauer Park wurde von Friedrich Hermann Rötschke zu Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts angelegt. Die Bauten, wie die Rakotzbrücke, gehen auf ihn zurück. Die heutige Form als Rhododendrongarten erhielt er erst in den Neunzigerjahren des Neunzehnten Jahrhunderts durch einen späteren Besitzer.
Den ganzen Park kann ich mir heute nicht ansehen, da muss ich unbedingt einmal wiederkommen! Ich kehre zu Gesa zurück, die brav auf mich gewartet hat und wir setzen uns in Richtung Weißwasser in Bewegung.
Weißwasser ist ein wenig gruselig, eine Industriestadt, sie wirkt ein wenig zerrissen und scheint hauptsächlich durch Eishockey am Leben gehalten zu werden. Auf der B 156 verlasse ich, zumal es etwas zu Tröpfeln begonnen hat, die Stadt genau so schnell, wie ich gekommen bin.
Die Straße führt um den Tagebau Nochten herum, allerdings kann ich ihn nicht sehen, da immer Wald zwischen mir und ihm ist. Immer wieder tröpfelt es ein wenig. Ein Schild weist mich zum Findlingspark Nochten. Den möchte ich sehen. Aber als ich dort bin, ist es schon nach sechs und der Park ist bereits geschlossen. Also muss ich hier auch noch mal wiederkommen.
Ich habe aber von einem Aussichtspunkt beim Tagebau Reichwalde gelesen. Der ist nicht weit von hier, also los, weiter. Hinter Boxberg steht auch ein riesiges braunes Schild. Dem fahre ich nach. Nach einigen Kilometern, ich habe in der Zwischenzeit schon links des Weges durch die Bäume irgendwas stehen gesehen, lande ich im Wald. Da geht es nach Rietschen. Das kann nicht sein. Also Kehrt. In Neuliebel finde ich schließlich ein winziges Schildchen, das zum Aussichtspunkt führt.
Ein Schotterweg führt aus dem Ort hinaus, an ein paar Bäumen entlang und dann auf einen freien Platz. Vor mir ragt aus dem Boden ein Stahlgerüst, etwa zweihundert Meter entfernt.
Abraumhalden, Braunkohlehalden. Das Kraftwerk Boxberg da hinten sendet graue Wolken in den Himmel. Von dem Stahlgerüst schießt in hohem Bogen Material von einem Laufband ins Nirgendwo. Unheimliche Geräusche. Ich stelle Gesa ab und hänge den Helm über den Spiegel. Da vorne sehe ich ein Holzhüttchen auf einem Hügel. Schilder warnen vor dem Betreten des Geländes. Da geht aber ein Weg zu dem Hüttchen. Das muss der Aussichtspunkt sein. Ich nehme die Kameras und laufe den Hügel empor. Du meine Güte! Was für ein Anblick! Dieses Stahlgestell ist riesengroß! Etwa zehn Stockwerke geht es in die Tiefe vor mir und dieses Ding katapultiert den Abraum, oder was immer, hoch über meinem Kopf ins Freie. Mannsgroße Brocken sind dabei. Ploff - ploff... treffen sie auf einem schon aufgeschütteten Hügel auf den Boden. Am Ende der riesigen Brücke steht ein Bagger. Er frisst sich langsam an der Kante entlang. Der weiße kleine Punkt da unten, das ist ein VW Bus. Ich stehe eine ganze Weile wie gebannt da und staune. Es ist eine bizarre, unheimliche Szenerie.
Riesenspielzeuge
Mein Magenknurren holt mich zurück in die Welt. Seit heute morgen beim Frühstück habe ich nichts mehr gegessen. Und jetzt ist es schon sieben durch! Bis neun gibt es was zu Essen im Gasthof. Also los! Ich sehe zu, daß ich zu Gesa zurück komme und fahre mit einer Staubfahne den Weg zurück ins Dorf. Nun erst einmal zurück nach Boxberg. Zurück auf die B 156. Bei Uhyst biege ich wieder ab auf die S 108. Ich gebe gut Gas. Nur ein Zementmischer kann mich kurz etwas aufhalten. Bei Lohsa biege ich ab und schlage mich quer durch. Zumindest versuche ich es. Das hätte ich mir sparen können, denn schon bald bin ich wieder in der Nähe des Hoyerswerdaer Waldfriedhofes und rolle im Gegenlicht an der Neustadt vorbei. Im Experimentieren nie müde, biege ich dann in Richtung Dörgenhausen ab. Es sollte doch einen Weg geben, mit dem ich eigentlich direkt bei der Pension rauskomme. Oh, eine Bockwindmühle! Mitten im Ort! Dafür habe ich aber heute keine Zeit, das Essen ruft und so fahre ich in Dörgenhausen einfach mal die Richtung, die ich denke und gelange auf eine Straße, die nur für Anlieger frei ist. Da es einen Wegweiser nach Michalken gibt, habe ich fortan ein Anliegen und gebe munter Gas. Die Straße führt in den Wald und wird zum Schotterweg. Egal. Im Stehen fahrend komme ich nach Michalken. Ich stelle Gesa vor dem Gasthof ab, schließe sie ab und stürme nach oben ins Zimmer. In Windeseile habe ich mich umgezogen und meinen Kram, wie Lesebrille, Buch, Stift und so in meinen Rucksack geworfen und sitze bald drauf, als ob nichts gewesen wäre, unten am Tisch. Vor mir ein megaleckeres Hamburger Steak und ein Glas Wittichenauer.
Nach dem Essen schreibe ich meine Erlebnisse nieder und unterhalte mich noch eine ganze Weile bei Rotwein mit dem Wirt. Als ich später dann in mein Zimmer hoch komme, trommelt leise etwas leichter Regen auf das Dachfenster. Das macht mir aber nichts aus, ich bin in nullkommanichts eingeschlafen.


Uff! Was für ein Tag! Was habe ich alles gesehen und erlebt! Heute bin ich gute dreihundert Kilometer unterwegs gewesen. Schon kurz hinter Boxberg hatte auf dem Rückweg die Tankanzeige geleuchtet und warnend die Kilometer auf Reserve mir vorgezählt. Morgen werde ich als erstes Tanken müssen, denn mehr als nur noch Gase können kaum im Tank sein.

10 Kommentare:

  1. Supertolle Bilder. Lass Dir das Bild mit Gesa und dem Bagger schützen. Besseres Werbebild gibt's ja wohl nicht. ...

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    1. Dankeschön! Ich werde mal sehen, wie sich das machen lässt!

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  2. Meine Güte, ist diese kleine Gasse mit den bunten Hausern nicht niedlich? Da würde ich glatt hinziehen, wenn ich umziehen müsste. Sehr schön und sehr schön eingefangen.

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    1. Oh ja! Ich war genauso entzückt, als ich das gesehen habe! Diese Farbenfreudigkeit habe ich übrigens in Sachsen besonders bewundert. Das wirkt immer authentisch.

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  3. Die Eindrücke aus Hoyerswerda sind wirklich hübsch. So hatte ich es mir gar nicht vorgestellt. Die Ereignisse von damals ließen eine hässliche Stadt erwarten. Ein wenig wie Gotham City. Doch diese friedlichen Gassen könnten auch in Dänemark fotografiert sein. Sehr, sehr hübsch.
    Gute Reise wünsche ich dir.
    Lieben Gruß, Svenja

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    1. Ich danke Dir sehr!
      Das stimmt! An Dänemark habe ich auch gedacht dabei. Ich bin zwar noch nie dort gewesen, aber ich habe Bilder gesehen, wie Tondern früher ausgesehen hat und so.
      Die Neustadt von Hoyerswerda ist dann auch ein wenig mehr so, wie man es erwartet. Allerdings sind viele der Einheitsplattenbauten schon wieder abgerissen dort. Es gibt noch ein Einkaufszentrum, das von weitem wie früher aussieht und ansonsten modernisierte Bauten. Schlimm ist es dort auch nicht. Wie im Westen halt auch in solchen Satellitensiedlungen.

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  4. An Dänemark (Ribe!) dachte ich auch sofort, als ich die kleinen bunten Häuser sah. Die Szenerie mit dem großen Bagger ist krass - fast schon wie Avatar ...
    Was Satelittensiedlungen angeht, hat Wolfsburg ähnliche Scheusslichkeiten zu bieten ...
    Der Rhododendronpark ist wirklich zauberhaft!
    Sehr schöner Bericht wieder einmal!

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    1. Wie ich an dem Bergbauloch von Reichwalde stand, da hatte ich auch noch Glück mit dem Licht. Das hat die ganze Szenerie noch mal in etwas unwirklicheres gehoben. Die Geräusche die dazu aus dem Loch kamen, die kann man sich gar nicht vorstellen. Ich bin immer noch sehr eingenommen von dem Erlebnis.
      Ja, diese kleinen bunten Häuschen hatte ich überhaupt nicht dort erwartet. Ich hatte eigentlich an eine ursprünglich kleine Ackerbürgerstadt gedacht. Auch nach dem, was Micha von dort erzählte, hatte ich so etwas eigentlich nicht erwartet. Es ist immer wieder schön, positiv überrascht zu werden.

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  5. Niesky. Den Ort habe ich 1985 kennengelernt, als ich in der DDR zu Besuch war. Dort war mein Cousin stationiert, den wir aber nur außerhalb des Ortes treffen durften. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob wir damals nicht von der Stasi überwacht worden sind. Viel ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Schon gar nicht, wie schön die Landschaft dort ist.

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    1. Bis Niesky bin ich ja leider nicht gekommen. Den Ort haben sie gekommt vor mir verborgen.
      Ganz sicher seid Ihr von der Stasi bei dem Treffen überwacht worden. Du warst aus dem Westen und hast Kontakt zu einem vermutlich Armeeangehörigen gehabt. Und Ihr habt Euch konspirativ getroffen. Das wird wohl schon seinen Eingang in die Akten gefunden haben. Aber vermutlich haben sie auch irgendwie die Harmlosigkeit Eures Treffens festgestellt, sonst hätte Dein Cousin später ja mal von irgendwas erzählt.

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