Freitag, 25. März 2016

Das Schweizermesser unter den Motorrädern. Ausprobiert: BMW R1200GS MJ'16

"Der normalgewachsene Mitteleuropäer fährt doch eigentlich ohnehin GS!"

Nachdem ich ihm Zeit gegeben habe, diesen Satz im Raume verhallen zu lassen, setze ich zur Antwort an. "Haben sie denn sowas da? Kann man das mal als Vergleich fahren?" Damit hat er nicht gerechnet, er schielt zur Uhr an der Wand und schaut sich im Raum um. Wir sind nicht allein, da stehen noch reichlich Leute, vor der Tür sind auch noch welche. Er fasst einen Entschluss. "Ja, haben wir da, gut, wenn sie um viertel vor drei wieder da sind...?!" Kein Ding, es ist kurz nach zwei, er greift hinter den Tresen und angelt einen Schlüssel hervor.
"Die Bedienung ist, wie sie das von eben kennen, Keyless go, Schaltassistent und so weiter." Ich nicke und ziehe den Helm über.

Auf der R1200GS sitze ich gleich viel entspannter. Es ist mehr das Gefühl von Reiten. Oder einem Sessel. Oder von Reiten mit einem Sessel als Sattel. Die Knie sind entspannt, die Füße stehen auf den Rasten ohne daß ich sie abknicken muss. Ich rolle durch den Kreisverkehr und beschleunige wieder in Richtung Gauersheim. Kaum steigt die Geschwindigkeit über die normale, innerörtliche Geschwindigkeit an, wird es laut. Es gibt Verwirbelungen. Der Helm vibriert hin und her. Dazu ist es laut. Nicht das Knattern, wie bei der F800GSA, oder der R1200GSA, aber trotzdem unangenehm. In Gauersheim biege ich ab. An der Kreuzung stehen zwei Biker, einer telefoniert. Wäre ich jetzt mit Gesa gemütlich unterwegs, dann hätte ich angehalten und gefragt, ob Hilfe von Nöten ist. Aber ich habe ja eine Mission und kann nicht unterbrechen. Sorry Jungs!
Durch den Ort geht es souverän, die etwas höhere Sitzposition kenne ich von Gesa, aber der Motor und der "Komandostand" vor mir geben mir ein größeres Gefühl.
Vor meiner Abfahrt wurde ich auch hier gemahnt, vorsichtig zu sein, denn die Reifen seien ganz neu. Also passe ich auch hier wieder besonders auf. Täte ich ohnehin, denn die 1500,- € Selbstbeteiligung entfalten die entsprechende Wirkung auf mich.
Ein ewiger Sieger: Schon wieder Motorrad des Jahres.
Sitzhöhen von 820 - 890mm. Ohne Tieferlegung. Damit käme man auf 800mm. Der Sitz lässt sich zudem jeweils um 2cm in der Höhe verstellen.
An dem Parkplatz von vorhin fahre ich nun vorbei, ich schwinge durch die Kurven und setze in Marnheim den Blinker. Nach ein paar Metern stelle ich den Motor ab und sehe mich etwas am Motorrad um.
Die Verwandschaft unter den 1200er Modellen ist offenbar groß. Aber, klar, auch zu den anderen BMW Modellen der größeren Baureihen. Anders, als bei der R1200R hat die GS noch ihren Telelever, eine aufwendige Konstruktion, die dem Vorderwagen mehr Stabilität verleiht und Abtauchbewegungen verhindern soll.
Lenkungsdämpfer
Telelever mit entsprechender Ausstattung
Dementsprechend fährt sich die GS auch ein wenig wie ein Auto. Nur mit mehr Fahrtwind halt.
Von der Elektronikseite ist auch hier fast alles möglich und auch fast alles an der Testmaschine verbaut. Dynamic ESA, genauso wie ein Tempomat, oder die Vorrüstung für ein Navi.
Ich mache aber nur eine kurze Runde um das Motorrad, denn die Zeit drängt ein wenig und ich möchte den Feierabend im Laden nicht unnötig herauszögern.
Die Maschine hat naturgemäß einen etwas höheren Schwerpunkt, aber er ist zu keinem Zeitpunkt unangenehm. Schließlich sitzt der Motor immer noch entsprechend tief und sorgt für eine entspannte Kurvenlage. Auch hier sind wieder die bekannten 125 Pferde am Werk, aber im direkten Vergleich zum Roadster wirken sie hier etwas gezügelter. Die Arme werden nicht ganz so lang, wie eben noch auf der R. Das mag am Fahrtwind liegen, der ja trotz der Verwirbelungen wirksam vom Fahrer abgehalten wird. Denn Antrieb und Übersetzung sind identisch in beiden Maschinen. Lediglich in der Reifen und bei der Geometrie unterscheiden sie sich etwas. Bei der R sind es beides 17 Zoll Reifen, hinten allerdings 180 breit und bei der GS haben wir vorne 19 Zoll und hinten ein 17er Reifen mit 170er Breite. Das sollte aber beim Erleben der Geschwindigkeit unerheblich sein.
Tagfahrlicht
Lüfter
Auch hier wieder ein komplettes Bild. Drehrad für das Navi, Tempomat, Tagfahrlichtschalter
Für die Rasten gibt es auch noch Möglichkeiten im Zubehör.
Für die längere Ausfahrt habe ich heute leider keine Zeit, ich strebe schon wieder auf Kirchheimbolanden zu, lasse einen Trecker noch hinter mir und dann bin ich schon wieder in den Kreiseln an der Umgehungsstrasse. Hier verhält sich die GS auch wieder, wie erwartet souverän und kurz drauf habe ich sie auch schon wieder vor dem Laden eingeparkt.
Nun, wie ist es damit jetzt gewesen? Hm. Ich bin noch etwas unentschieden. Im direkten Vergleich war ich tatsächlich fast etwas enttäuscht. Vielleicht hatte ich mir von einem Schweizer Taschenmesser mehr erwartet? Oder war es nur das Problem mit dem Helm, daß er einfach nicht ruhig liegen wollte, egal wohin ich das Windschild gedreht habe?
Stellknopf für das Windschild
Niedrig
Hoch
Ich werde noch mal fahren müssen, um mir da wirklich ein Urteil bilden zu können. Ja, das ist eine tolle Maschine, ja, absolut hoch entwickelt, aber nein, wirkliches Motorradfeeling ist nicht aufgekommen. So ähnlich hatte ich es schon auf der GSA erlebt, da hatte ich auch eher ein Gefühl von Auto gehabt. Was man ihr wirklich lassen muss, ist, daß sie absolut top verarbeitet ist. Da rappelt nichts, da klappert nichts, alles macht einen hochwertigen Eindruck. Und man hat jederzeit das Gefühl, die Lage zu beherrschen.
Ich werde wiederkommen müssen und mich einer längeren Runde stellen. Möglicherweise erschließt sie sich einem auch erst dann wirklich.


17 Kommentare:

  1. Bei diesem Motorrad möchte ich keinen Kommentar abgeben.... ;-))

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    1. :)
      Irgendwie lässt sie keinen kalt, aber sie polarisiert...

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  2. Hahaha....ich auch nicht. Ist ansich vielleicht ein tolles Motorrad...aber nix für mich. Und fahren will ich sowas auch nicht.

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    1. Wie gesagt, so vom technischen her, ist sie erste Sahne. Auch wenn ich sie irgendwo fahren sehe, das taugt mir schon sehr. Zum Beispiel wenn einen ein GS Fahrer auf der Autobahn überholt.
      Aber wirklich zusammengefunden habe ich mir ihr bisher noch nicht.

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  3. Auf jeden Fall ein ausgereiftes und zuverlässiges Motorrad, das besagen ja auch die Verkaufszahlen. Ich kenne auch viele, die dieses Modell fahren und zufrieden sind. Meins ist es dennoch nicht, ich bleibe doch lieber bei meiner Baby-Harley ;-)

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    1. Ich finde die Verkaufszahlen trügen etwas. Es werden doch kaum vom Kunden bestellte Fahrzeuge verkauft, sondern Tageszulassungen, Vorführer und demnach Vollaustattung. Ich kenne zumindest keinen GS Fahrer der selber seine BMW konfiguriert hat, sondern alle haben das Angebot des Händlers genutzt.
      Sagt jetzt nix über die Qualität aus, die ist meiner Meinung nach bis auf ein paar Kleinigkeiten, ausnamslos gut. Aber man muss es mögen...

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    2. Das Ding sieht man wirklich unheimlich oft. Als ich im Sauerland war, vor zwei Jahren, da schien jeder mindestens eine zu haben. Aber, mir geht es wir Dir, ich bleibe bei dem, was ich habe.

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  4. Aber aussehen tut sie ja schon sehr gut. Da denke ich dann immer – wäre ja schon ganz toll!
    Jetzt hat sich der Druck zum Glück wieder etwas normalisiert und ich freue mich auf die nächste Tour mit meiner „X“ ;-)

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    1. Oh ja! Und dieses coole Geräusch dazu noch. Vielleicht war ich deshalb so enttäuscht von ihr gewesen. Vielleicht hatte ich mir einfach zu viel erwartet?
      Da tust Du richtig dran, Dich auf Deine "X" zu freuen! Das ist so ein tolles Motorrad!

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  5. Lustig, das bei einam so langweiligen Motorrad so die Emotionen hochkochen.

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    1. Finde ich auch interessant! Sie scheint einen doch mehr zu beschäftigen, als man meint.

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  6. Der normalgewachsene Mitteleuropäer fährt doch eigentlich ohnehin GS!"??? Pöööööh! Ich BIN normalgewachsen! Und Mitteleuropäer! Und überhaupt :-) Wie gut, dass ich es überhaupt gar nicht will! :-)

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    1. Der das sagte, ist mindestens 1,93, eher größer. Was er da als normalen Wuchs ansieht, das kann ich auch nur mutmaßen.
      Ich muss sie aber auch nicht haben. Auch wenn sie manchmal mir schon gefallen könnte. Aber nur ganz manchmal.

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  7. Fast ein Gefühl wie beim Autofahren ... danke Minya, für Deinen Bericht.
    Es mag hochentwickelt sein (die Lösung vom Hinterreifen-Schmutzfänger fand ich witzig), aber ich bin einfach kein Freund von diesen Modellen. Außerdem mag ich das Image nicht, was damit verbunden wird.
    Aber ich bin kein Maßstab - hunderttausend und mehr Käufer der BMW-Modelle sprechen sich ja positiv für diese Maschinen aus.
    Ganz am Anfang meiner Motorradlaufbahn war ich mir unsicher, welche Modelle bzw. Marken mir gefallen. Mittlerweile habe ich so einiges herausgefunden ;-).

    Möge das Bike sich zu dem Fahrer finden, wer zusammengehört.

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    1. Vielleicht liegt es bei mir zum Beispiel auch nur am Windschild. Wenn das anders wäre und den Wind effektiv abhalten würde, ohne zu knattern, oder mit den Kopf hin und her zu schütteln, dann könnte das schon was sein. Wenngleich, mir wäre sie vermutlich aber auch irgendwo zu schwer. Sitzen tut man auf jeden Fall nicht schlecht auf ihr. Und fahren tut sie auch gut. Eigentlich sollten das die Kriterien sein, nach denen man sich ein Motorrad raussucht. Weniger das Image. Denn, was nützt das schönste Image, wenn man nicht auf das Bike passt und sich ständig damit harkt, weil es irgendwo klemmt. Aber Motorräder verkaufen sich in erster Linie über Emotionen. Nach der Vernunft kaufen die Wenigsten. Das ist auch eigentlich ganz gut so. Jedem sein Bike, wie er, oder sie mag.

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  8. Toller Bericht. Deckt sich mit einer eigenen Probefahrt vor Jahren. Die GS hatte auch Telelever. Perfekt vielleicht, aber soo langweilig. Dieses Motorrad machte mich überhaupt nicht an. Es ist schon merkwürdig, aber jede runzelige Japanerin (ich meine ausdrücklich Motorräder!) aus den 80ern finde ich faszinierender. Ach ja, die Sache mit dem Windschild... Sowas ist nicht wirklich komfortabel. Sieht nur so aus. Ich hatte mal ne Triumph Tiger als Werkstattersatz. Da hat es auch furchtbar am Helm gerüttelt und geschüttelt. War ich froh, als ich die Streety wieder hatte.

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    1. Dankeschön! Das es mit diesen Scheiben nicht so wirklich dolle ist, das habe ich schon bei der Probefahrt mit der F800GS Adventure damals gemerkt. Da hatte ich mir von der Scheibe eine Menge versprochen gehabt. Aber dann einsehen müssen, daß es das gerade Gegenteil von dem war, was ich erwartet hatte.
      Jetzt bei der R1200GS meinte der Mann im Laden, da könne man noch etwas kaufen, das man oben drauf setzt. Sowas habe ich auch schon gesehen, von Wunderlich, oder Touratech, oder auch bei den drei großen. Das ist aber eigentlich nicht der Sinn der Sache, daß man da noch sonstwas für ein Geweih dranbaut, damit es nicht mehr knattert und rüttelt. Dann lieber ganz weg mit dem Ding, oder im Falle einer 800GS, das kurze Schild der 700er montiert.

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