Freitag, 19. September 2014

Stadt - Land - Fluss Tag 1

Der erste Tag

Die rote Gepäckrolle habe ich mit ihrem Trageriemen über die Schulter gehängt, in der Hand den Beutel mit der Regenkombi und in der anderen den Helm und den Tankrucksack. So stehe ich vor dem Garagentor, das sich gerade mit leisem Knacken und einem leisen, dumpfen Rumpeln öffnet. Es ist kurz vor zehn und die Sonne tut sich noch etwas schwer an diesem Donnerstag Morgen.
Als der Motor von Gesa dann endlich läuft, ist es viertel nach zehn und es geht los auf die erste tatsächlich längere Tour. Wobei "länger" vier Tage bedeutet.


In Sprendlingen fällt mir ein, daß ich völlig vergessen habe, den Route - Tracker im Händi anzuschalten. Ich fahre rechts ran und ändere das. Ich habe mir eine App auf das Händi gezogen, mit der ich Routen aufzeichnen kann. Und diese auch abspeichern und verschicken. Ich kann also dann zu Hause eine Karte anfertigen auf der zu sehen ist, wo ich lang gefahren bin. So das Vorhaben.
Die Strecke, die ich mir heute vorgenommen habe, kenne ich zum großen Teil schon, wie überhaupt die Reise mich nicht in allzu unbekanntes Terrain führen wird. Dennoch: So wie in den kommenden Tagen erlebe ich die Gegend das erste Mal. Ich habe noch nie so etwas wie Urlaub im eigenen Bundesland gemacht, das wird also langsam mal Zeit.
Unter der Woche ist im Hinterland nicht die Welt los und so bin ich bis Wöllstein fast alleine auf der Strasse. Lediglich ein Auto aus dem Vogelsberg stört das Weiterkommen ein wenig. Der biegt aber bald ab und so habe ich freie Fahrt. Was viel mehr als die Autofahrer stört, das sind die schmutzigen Strassen. In den vergangenen Tagen und in der letzten Nacht hat es geregnet und die Strassen in Rheinhessen sind mit einer gefährlichen Matsch und Lehmschicht bedeckt. Die haben die Reifen der Traktoren hinterlassen, die zur Zeit auf den Feldern und in den Weinbergen herumwimmeln. Gesa zu waschen hätte ich mir gestern abend sparen können.
Es geht vorbei an Fürfeld und dann den Berg hinunter ins Alsenztal. Noch auf der Hochebene zerplatzt auf meiner Visierscheibe ein Flugobjekt, das einen Fleck hinterlässt, der eher von einen fliegenden Hamster zu rühren scheint, denn von einer Fliege. Das Ding muss ich baldigst entfernen, denn es schränkt die Sicht zu sehr ein. Also fahre ich in Obermoschel an die Araltankstelle und säubere die Scheibe mit einem Papiertuch und etwas Wasser aus der üblichen Gieskanne.
Ich möchte natürlich nicht die ganze Zeit auf der Bundesstrasse fahren, und so biege ich in Obermoschel ab in Richtung Finkenbach - Gersweiler. Es ist eine traumhafte kleine Strasse, sie führt durch eine idyllische Wiesenlandschaft, in einem netten kleinen Tal.

Die Ortschaften sind sehr verschlafen und machen zeitweilig einen etwas heruntergekommenen Eindruck auf mich. Lange nicht alle Häuser sind noch bewohnt. Hinter Waldgrehweiler biege ich rechts ab und fahre weiter nach Gangloff. Gesa läuft sehr gut und geschmeidig und von der Gepäckrolle hinter mir spüre ich nichts. Hin und wieder greife ich mal nach hinten um zu prüfen, ob sie noch da ist.
Die Strasse wird immer kleiner, ich komme durch Ginsweiler und Cronenberg und schlängele mich hinunter nach Lauterecken. Auf dem letzten Stück hat sich ein Auto hinter mich geklemmt, aber ich lasse mich nicht jagen und genieße die Fahrt. Das Wetter ist bislang sehr so lala, eben hat es tatsächlich ein paar gelangweilte Tropfen geregnet.
In Lauterecken halte ich erst einmal an und studiere die Karte. Die Ausschilderung vor Ort ist mal wieder sehr dürftig. Die Bundesstrasse nach Kaiserslautern ist hier ausgeschildert, da will ich aber nicht hin, meine Strasse suche ich auf dem Schild vergebens. Ich fahre in die Richtung, in der ich die Ortsmitte vermute und lande dann tatsächlich auf der B420, auf die ich eigentlich wollte.
Mein Stundenschnitt ist im Moment nur wenig höher als der einer mittleren Weinbergschnecke und so ist es nicht verwunderlich, daß die einzigen anderen Motorradfahrer, die ich an diesem Tag bislang sehe, an einem Tisch vor einem Lokal schon beim Mittag sitzend entdecke.
Nach ein paar Kilometern auf der der nicht soo geliebten Bundesstrasse komme ich nach Offenbach - Hundheim. Ich setze den Blinker rechts und fahre auf der ersten Abfahrt in den Ort hinein. Vor einer recht großen Kirche stelle ich Gesa ab. Diese Kirche hatte ich gar nicht in Erinnerung gehabt. Sie scheint aber dort schon länger zu stehen und ich habe sie vermutlich nie wahrgenommen, wenn ich hier zu tun hatte. Somit ändere ich meinen Plan für hier ein wenig und schaue mir dieses Bauwerk an.

                                                         martialische Szenen


                         Früher hätte man was von nicht lichthoffreiem Material gemurmelt...


Zur Mittagszeit ist es reichlich still in dem Ort, kein Mensch ist weit und breit zu sehen, lediglich eine alte Dame betrachtet mich misstrauisch, als sie mich bei der Kirche am Motorrad stehend entdeckt.


Ich bin hier mal bei einem alten jüdischen Friedhof gewesen, das ist bestimmt zehn Jahre her und ich stelle fest, daß meine Erinnerung bezüglich der Lage und des Weges dort hin mich etwas im Stich läßt. Mist, immer wenn man sie mal braucht...
Ich versuche aus dem Internet Informationen zu ziehen, aber das Netz ist schwach und so probiere ich es dann doch mit dem Peilen über den Daumen. Ich schwinge mich auf Gesa und wir fahren auf einer steilen Strasse aus dem Ort hinaus. Da vorne, der Wald, das könnte es gewesen sein. Da muss es also einen Weg geben. Da - ich bin auch schon daran vorbei und wende bei der nächsten Gelegenheit.
Ich biege in den Wald ab, es führt ein Weg, der für mich fahrbar erscheint, auf einer sanften Kurve tiefer in den Wald hinein. Ich bin etwas unsicher, war es nicht doch gleich dieser Weg da rechts, der da abwärts geht? Nee, das war glaub ich ein Stück rein und dann abwärts. Ich werde unsicher. Erst mal folge ich also dem Weg, der gut für mich aussieht. Er beschreibt eine langgezogene Kurve und es geht sanft beragab. Ich versuche zwischendurch immer mal den Blick auf den Wald neben mir zu lenken. Die Strecke ist mit den richtigen Reifen überhaupt kein Problem, ich habe aber diese relativ glatten Pirellis. Auf der Strasse ok, aber hier - fehl am Platz. Soviel zu sogenannten Enduroreifen...
Ich komme an eine Wegkreuzung. War das jetzt da rechts? Oder weiter geradeaus? Stop! Ich merke daß ich gerade dabei bin, mir eine schöne Falle aufzustellen. Und mit einem Fuß stehe ich schon drin. Nicht der Förster, der ohnehin jetzt bei der Suppe oder beim Schnitzel sitzt, ist mein Problem, nein, ich verbaue mir gerade die Chance auf Wiederkehr. Wenn ich weiterfahre - egal wohin - werde ich mich mit den Reifen garantiert festfahren. Und mit meinen nicht vorhandenen Offroadkenntnissen, ist das dann erst mal das Ende der Reise. Ich werde hier umkehren und die Suche nach dem Friedhof abrrechen. Bislang war der Weg ganz ordentlich zu fahren, aber beim Wenden merke ich, daß es nicht einfach ist. Ich lasse mich etwas in die Kreuzung zurückrollen und dann sehe ich zu, daß ich mit wenig Gas etwas den Weg hoch komme und dann beim nächsten zurückrollen gleich in die richtige Position gelange. Da ich mit mir genug zu tun habe, gibt es leider auch keine Bilder aus dem sonst wunderschönen Wald. Von dem gesuchten Friedhof haben mich vermutlich nur wenige Schritte getrennt, aber verschiebe das lieber auf ein nächstes Mal.




                        Die Bilder stammen von meinem letzten Besuch dort im Jahre 2000

Wieder unten auf der Bundesstrasse biege ich in St. Julian ab und folge einer schönen kleinen Strasse auf der ich nach Altenglan gelange. In Altenglan ist allerdings gerade der Teufel los. Ich bin mitten in den Schülerverkehr geraten. Busse blockieren die Strasse und es dauert bis ich endlich wieder weiterkomme.
In Matzenbach komme ich an einem braunen Schild vorbei, das die touristische Attraktion einer historischen Waschtreppe verheißt. Ich wende Gesa am Ortsausgang und biege dem Schild folgend ab und suche die angegebene Treppe. Das einzige, was ich finden kann, ist eine recht unscheinbare Treppe, die von der Strasse zum Glan hinunterführt. Zuerst bin ich daran vorbeigefahren und habe mir nicht vorstellen können, daß sie das schon sein soll. Aber ich finde keine weitere, also wird es die sein und so drehe ich um und halte schließlich vor ihr und blicke hinab ins Wasser. Zu fotografieren bietet sie sich allerdings nicht an. Und so richtig echt historisch schaut sie auch nicht aus. Ich fühle mich ein klein wenig angeführt, als ich weiterfahre, aber so etwas ähnliches hatte ich ja schon einmal gehabt...

                                         
Dennoch folge ich dann bald darauf in Glan - Münchweiler einem Wegweiser, der zu den "Viergöttersteinen" leitet. Diese finde ich dann tatsächlich im Garten der Kirche. Noch dazu kommen Sarkophage aus römischer Zeit. Nachdem ich das im Bild festgehalten habe, geht der Kamera der Saft aus.


                                            ehemals Steine einer Jupitersäule

                                                etwas makabere Art von Passform


Auf dem Weg nach Schönenberg - Kübelberg (man hat hier einen ausgeprägen Fetisch für Orts - Doppelnamen entwickelt) hatte mir meine Karte eigentlich mehrere stillgelegte Bergwerksstollen angezeigt. Aber meine Vorstellung von "Bergwerk" wird sich nicht mit der Realität vor Ort decken und so kann ich keinen davon ausmachen. Stattdessen mache ich hinter Schönenberg - Kübelberg einen kleinen Schlenker, von dem ich mir auch, als ich es mit der Landkarte in der Hand ausgearbeitet habe, mehr erwartet habe. Allerdings erweist sich die Strasse als interessant und schnuckelig. An Homburg / Saar vorbei fahre ich nach Bexbach. In Homburg habe ich zwar mein Zimmer reserviert, aber ich möchte mir vorher noch in Bexbach etwas ansehen. Dieses Etwas finde ich allerdings spontan, so wenig ist es zu übersehen.

                                             Unübersehbar: Kohlekraftwerk Bexbach

Anfang der neunziger hatte mich mein erster richtiger Arbeitstag unter anderem hierher geführt. Die Ampelphasen hatte ich allerdings nicht mehr in Erinnerung gehabt. Die kosten Nerven.
Danach mache ich mich erst einmal auf nach Homburg und beziehe mein Hotel. Das Hotel ist leicht gefunden und ich stelle Gesa auf einem großen Parkplatz hinterm Haus ab und gehe zur Rezeption.
Mein Zimmer ist die 108, das ist im Gästehaus, also auf der anderen Strassenseite, ein paar Meter zu laufen. Gesa darf ich in "so e Garaasch" stellen. Die finde ich auch gleich auf Anhieb, denn es ist nur eine da.
Erst einmal beziehe ich mein Zimmer und mache mich frísch und gönne dem Akku der Kamera etwas Strom. Gleichzeitig entferne ich das Futter aus der Jacke, denn es ist recht warm geworden.
Danach geht es dann nach Homburg rein. Ich wollte mir eigentlich die Schloßberghöhlen ansehen, Schilder, die darauf hinweisen habe ich schon viele gesehen, aber ich komme etwas spät. Der letzte Einlass ist vor einer guten Viertelstunde gewesen. Also schaue ich mich stattdessen auf der Festung um. Die Festung ist im achtzehnten Jahrhundert komplett geschleift worden und so ist es heute lediglich eine sehr rudimentäre Ruine.

                                        nicht mehr wirklich zu erkennen: die Küche


Allerdings mit abenteuerlichen Treppen. Man hat einen wunderbaren Fernblick, über den Bliesgau, bis weit über Saarbrücken hinaus, ich kann den Halberg erkennen und die Dampffahne des Kraftwerks Fenne.

                            scharf auf den Kieker genommen: Homburg und Umgebung
                                                   Blick Richtung Bliesgau

                     Am Horizont rechts: Die Dampffahne des Kraftwerkes Fenne bei Völklingen

Auf dem Weg wieder zurück zu Gesa kommt mir im engen Treppenhaus eine Familie mit einem kleinen Mädchen entgegen. Das Mädchen schaut erstaunt auf meine Motorradsachen und fragt die Mutter, als sie dann etwas weg sind, was die Frau, die da eben engegengekommen ist, macht.
Wieder unten in der Stadt fahre ich an eine Tankstelle, an der ich eigentlich nur einen Alkoholtester für Frankreich kaufen will. Gnädig, wie ich nun mal bin, tanke ich auch gleich etwas. Leider haben die da nur das normale Super plus mit 98 Oktan. Gesa verzieht ein wenig den Schnabel, aber ich kann ihr hier nichts anderes bieten. Einen Alkoholtester haben sie hier allerdings nicht. Das Händi hilft mir rasch eine ATU Filiale zu suchen, die auch noch zwanzig Minuten auf hat, und in der Nähe gelegen ist. Dort habe ich dann Glück und bekomme so einen Tester. Und eine Warnweste. Die landet unter der Sitzbank und der Tester im Tankrucksack. So auf Frankreich vorbereitet drehe ich noch eine kleine Runde durch die Stadt und suche eine Bank. Ich stelle Gesa am Ende der Fußgängerzone ab und muss ein Stück laufen. In Homburg bin ich zwar schon mal gewesen, aber wohl noch nie in der Innenstadt. Ich stelle fest, daß das kein übergroßer Verlust ist. Die Geschäfte schließen alle um 18:00 Uhr (wenn sie nicht schon lange geschlossen sind) und es ist ein recht trostloser Anblick. Ich fahre zurück zum Hotel. Dort stelle ich Gesa ab für die Nacht und ziehe mich um. Mit meinem Rucksack und der Kamera in der Hand mache ich noch eine kleine Runde durch Erbach, bevor ich mich im Hotelrestaurant zum Essen niederlasse.

              Der letzte Kunde ist hier auch schon vor einiger Zeit verabschiedet worden

Das Lokal ist leer als ich herein komme, außer mir ist kein weiter Gast zu sehen. Die Bedienung macht mir extra Licht an im Gastraum. Das Ganze ist gemütlich im altdeutschen Stil eingerichtet, viel anders habe ich es nicht erwartet, und ich bin froh, so meine Ruhe zu haben. Ich bestelle ein Schweizer Steak (€ 11,50 inkl. großem Salat), das ganz hervorragend ist (das habe ich auch nicht anders erwartet, denn im Saarland bin ich noch nie verhungert!). Vorweg gibt es Brot und total leckeres Griebenschmalz. Das habe ich schon ewig nicht mehr gegessen!

ohne Lesebrille geht da nichts mehr... Mit der Landkarte vor mir lasse ich den Tag Revue passieren

Nach dem Essen schreibe ich dann meine Erlebnisse des Tages auf. Weit gefahren bin ich heute nicht, es waren 167 Kilometer, das mache ich sonst an einem Nachmittag als Rundfahrt. Aber auf die Kilometermenge kommt es mir ja auch gar nicht an. Ich bin an Orten gewesen, an denen ich schon lange nicht mehr gewesen bin und ich habe Neues gesehen. Gespannt auf Morgen gehe ich zeitig zu Bett und bin auch sofort eingeschlafen.


1 Kommentar:

  1. Spannend zu lesen, deine Suche nach dem alten Friedhof!

    Und zum Foto…Die „etwas makabere Art von Passform“ scheint den Lebenden wohl wichtig zu sein. In Belgien fallen mir immer die hohen Steinmauern auf, die dort die Friedhöfe umgeben. Rein oder raus kommt man nur durch hohe eiserne Tore - die um Mitternacht sicherlich fest verschlossen sind ;-)

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