Es sieht gar nicht schlecht aus. Die Sonne scheint, es ist wohl auch nicht zu kalt, aber es weht ein Wind. Der war gestern auch schon da gewesen.
Ich genieße es, wieder ein Bad für mich ganz alleine zu haben und wasche die Haare. Das musste auch so langsam mal sein. Mit dem kleinen Fön, der am Spiegel hängt, bekomme ich sie auch irgendwann wieder trocken und ziehe mich an. Erst mal frühstücken, alles andere bekommen wir dann.
Es ist doch kühl draußen, als ich nach dem kurzen Fußmarsch im Haupthaus angekommen bin. Ich suche mir einen Platz hinten in der Ecke, lege meine Jacke und meinen Rucksack ab und schaue mich am Buffett um. Keine Überraschungen, wie immer. Ich suche mir die Sachen, die ich gerne mag zusammen und trage die Beute zum Platz. Der Kaffee kann wie immer Tote erwecken.
Nach dem Frühstück frage ich noch, ob ich den Rasen mal kurz benutzen kann, um mein Zelt zu trocknen. Kein Problem, so laufe ich rasch hinüber und finde mich bald darauf auf dem Rasen hinterm Haus wieder ein. Im Zelt hängt noch eine Menge Wasser und es ist gut, daß ich alles mal mit einem sauberen Lappen abwische. Der Wind tut sein Möglichstes und hilft das Zelt zu trocknen. Ich muss eigentlich nur aufpassen, daß mir nichts wegfliegt. Derweil beobachtet mich das Zimmermädchen durch eines der Fenster. Aber nein, ich will nicht campen. Ich packe alles wieder in seine Beutel und muss mich nun auch sputen. Ich habe um 11.30 einen kurzen Termin in der Stadt. Also los. Ich ziehe mich rasch um, nehme meinen Tankrucksack mit der Kamera und der Wasserflasche drin, den Helm und laufe runter in die Tiefgarage. Gesa wartet schon auf mich. Einmal kurz geschaut, ob alles in Ordnung ist und dann läuft auch schon der Motor und ich rolle die Rampe hoch. Erst einmal biege ich links rum ab und fahre unten auf die Sülldorfer Landstraße. Ich möchte eben noch meine Tante besuchen. Das ist nicht weit, ein Stück in Richtung Rissen und dann wieder links. Der Friedhof hat einen kleinen Hintereingang, von da habe ich nur ein paar Schritte bis zu dem kleinen Baumfriedhof, auf dem sie begraben liegt.
Als ich wieder zu Gesa zurückkehre, fallen ein paar lustlose Tropfen. Seit dem Frühstück hatte es sich ziemlich rasch bedeckt und es ist jetzt alles grau in grau am Himmel. Es soll heute eigentlich nicht regnen, aber mit so etwas muss man hier immer mal rechnen. Ich rolle durch den kleinen Wendehammer und wieder zurück auf die Sülldorfer. Die Zeit drängt nun wirklich und ich entscheide mich also, direkt gerade durch zu fahren. Also die Osdorfer runter, über die Autobahn, dann am Bahrenfelder Markt vorbei und auf die Stresemannstraße. Hier knäult es ich erfahrungsgemäß ein wenig, wenn man sich dem Bahnhof Holstenstraße nähert. Aber heute morgen habe ich Glück, es ist zwar eine Baustelle und ein wenig Unklarheit über den Straßenverlauf, aber ich komme sehr gut durch. Unter der Sternbrücke durch und dann vorne am Pferdemarkt auf die Feldstraße abgebogen. Am Bunker vorbei, wie oft bin ich bei PPS gewesen, damals. Am Gericht vorbei, hier ist die Straße neu gemacht worden und dann die Kaiser Wilhelm Straße runter. Gleich bin ich da. Ich biege in die Großen Bleichen ab und suche mir einen Parkplatz. Auf dem kleinen Platz vor dem Broschekhaus stehen auch schon andere Motorräder, also packe ich mich dazu. Rasch den Tankrucksack abepfriemelt und ich komme pünktlich zu meinem Termin.
Wie ich aus dem Kaufmannshaus wieder rauskomme, hat es wieder begonnen etwas lustlos zu tröpfeln. Ich bin gespannt, wie es auf der anderen Seite der Elbe aussehen wird. Da geht es jetzt nämlich hin. Ich starte Gesa, rolle langsam vom Bordstein und bekomme die grüne Ampel gerade noch mit, um Richtung Rödingsmarkt abzubiegen. Ich fahre unter der Hochbahn entlang, bis ich an die Landungsbrücken komme. Blinker links und vor zum Tunnel. Die Anfahrt ist etwas anders als sonst, es wird seit Jahren dort schon gebaut und es ist immer alles anders, wenn ich wiederkomme. Ich stelle Gesa vor dem Automaten kurz ab, ziehe mir eine Karte und wie ich mich wieder in den Sattel schwinge, winkt mich auch schon einer der Männer mit den weißen Mützen zu sich herüber. Er stanzt ein Loch in die Tunnelkarte, ich rolle bis nach vorne an die andere Seite des Fahrkorbes und schon schließt sich hinter mir das Tor. Motor aus. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Es geht abwärts. Schnell die Kamera aus der transparenten Tasche des Tankrucksackes genestelt und ein Bild gemacht.
Schon sind wir unten und das Tor wird vor mir nach oben gezogen. Rasch noch ein Bild und dann wieder Motor an und ab in den Tunnel. Vor mir sind Touristengruppen, die die Ein - und Ausfahrt der Fahrstühle auf der Nordseite verstopfen. Ich stoppe kurz.
Gesas Motor hallt donnernd von den gekachelten Wänden wieder. Die Leute machen Platz, ich kann langsam, etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit, durch die Röhre rollen. Brrrommm....! Bei jedem noch so leichten Gasstoß dröhnt es um mich herum. Es ist kühl hier unten, ich habe das Visier geöffnet, damit es nicht beschlägt, und so spüre ich noch sehr viel direkter meine Umgebung.
Ich komme auf der Steinwärder Seite an und werde gleich in einen freien Fahrkorb hineindirigiert. Motor wieder aus, das Tor schließt sich und wir gleiten wieder nach oben.
Zig Mal bin ich hier mit dem Fahrrad, mit dem Auto, oder zu Fuß durch den Tunnel durch. Aber noch nie mit dem Motorrad. Mit meinem Motorrad. Ich bin stolz wie Bolle seine Olle und rolle ans Tageslicht. Das habe ich geschafft! Klasse! Da der Tunnel saniert wird, ist immer nur eine Röhre frei. Die wird bis Mittags um eins in südlicher Richtung befahren und danach in nördlicher. Ich bin noch vor eins durchgekommen und fahre nun an der Werft Blohm & Voss vorbei in Richtung Hafen. Kopfsteinplaster wie eh und je. Dazwischen Bahngleise, die Aufmerksamkeit erfordern und Kamikaze - LKW. Nicht zu vergessen die "normalen" Autofahrer. Die fahren hier allesamt einen Zacken forscher, als in der sonstigen Stadt. Hafen ist nichts für Weicheier. Vor dem Argentinienknoten staune ich nicht schlecht. Waren da nicht mal Bahnanlagen? Ich hatte doch mit meiner Tante da drüben mal am Schleusenbeckenrand gesessen, wir waren mit den Rädern unterwegs gewesen, und machten nun Pause und verspeisten unsere mitgebrachten Krabben in Gelee und schauten aufs Wasser. Hinter uns wurde rangiert, die Lok schob den Zug an, bommbommbommbommbomm... ging das durch die ganze Wagenschlange. Danach bremste die Lok wieder, wammbammbammbammbammbamm... zog sich das alles wieder in die Länge. Das wiederholte sich etliche Male, es gehörte zur Musik des Hafens.
Nun hatten sie dort eine nagelneue Straße hingebaut. Ich biege auf sie ab, stelle aber fest, daß sie lediglich zu einem Containerterminal führt. Also wende ich und biege ab, in Richtung ehemaligen Zoll am Neuhöfer Damm. Ich möchte ganz nach vorne hin, wo damals diese Kaffeeklappe war, die es lange schon nicht mehr gibt, am ehemaligen Kraftwerk vorbei, unter der Rampe der Köhlbrandbrücke durch, vor der heutigen Einfahrt zum Containerhafen Tollerort. Dort muss ich etwas aufpassen wegen der LKW, aber ich bekomme Gesa doch gut auf den Gehweg. Ich möchte ein Bild von Gesa mit der Köhlbrandbrücke machen. Es ist aber alles recht zugewachsen in der Zwischenzeit. Also schiebe ich sie rückwärts auf den Anleger. Vorne steht ein Pärchen und schaut ein eine Landkarte. Als ich höre, daß sie Englisch sprechen, frage ich, ob ich helfen kann. Die Frau ist Deutsche und die Beiden möchten eigentlich raus aus dem Chaos des Hafens, irgendwohin ins Alte Land oder so. Da sind sie hier verkehrt. Es gibt zwar eine Hafenfähre, aber wann die fährt... Das Trajekt gibt es auch schon ewig nicht mehr, also auch keine Option. Ich schicke sie den ganzen langen Weg wieder zurück bis zum ehemaligen Zoll und erkläre ihnen, wie sie dann fahren sollen. Der einzige Weg führt über die Kattwykbrücke. Die ist noch recht weit weg. Dafür kann ich ihnen versprechen, daß danach ziemlich schlagartig Ruhe sein wird. Sie bedanken sich und radeln davon, wieder zurück, wie ich es ihnen empfohlen habe. Ich rücke Gesa noch ein wenig zurecht, mache mein Foto und verlasse ebenfalls diesen Ort.
Den Weg über die Kattwykbrücke habe ich auch vor zu fahren. Ich bin gespannt, ob sie geöffnet ist, das ist nicht immer der Fall, nicht nur weil es eine Hubbrücke ist, sie ist auch so des Öfteren gesperrt. Ich komme über die Rethebrücke, daneben bauen sie eine neue Brücke, die die alte Hubbrücke ersetzen wird. Dahinter hat sich mal wieder alles verändert. Die Straßenführung, die früher einfach und normal war, ist nun reichlich unübersichtlich geworden. Ich erinnere mich daran, daß wir hier ein paar Mal auch mit den Rädern gestanden hatten und drüben aus dem Speicher Schlagzeug gehört hatten. Da hatte anscheinend jemand seinen Proberaum gehabt. Ob es das noch gibt?
Ich fahre weiter, an der alten Hansamatex vorbei und sehe schon auf den Schildern, daß die Kattwykbrücke geöffnet ist. Glück gehabt. Sonst hätte ich über Harburg fahren müssen. Allerdings ist ein kleiner Stau dort, weil gerade ein Güterzug die Brücke überquert. Da die Eisenbahn sich die Fahrbahn mit dem Straßenverkehr teilt, müssen die Autos und LKW warten, bis der Zug weg ist.
Hinter der Brücke biege ich gleich die erste Straße nach rechts ab und augenblicklich umgibt mich tiefer Friede. Katen stehen am Deich, es ist grün, eine kleine Straße, kein großer Verkehr. Ich bin in Moorburg. Die Straße folgt sanft dem Verlauf der alten Süderelbe, die es nicht mehr gibt. Früher hat sie Alten - und Finkenwärder zu Inseln gemacht. Bis man ihr das Wasser abgegraben hatte. Vorne und hinten zu. Aus. Hinter der Autobahn biege ich rechts ab, ich möchte nach Altenwerder. Zumindest dort hin, wo es mal gewesen ist.
Ich muss lange suchen, bis ich tatsächlich die Einfahrt finde. Sie ist nun ganz woanders, als sie gewesen war. Ich komme über die alte Dorfstraße, ich bin fast schon vorne, wo die kleine Werft gewesen war, hinter dem Laden. Hier bin ich oft gewesen mit meiner Tante. Das Dorf Altenwerder, das älteste der Elbinseln, hatte man in den Siebzigerjahren niedergerissen um einer Hafenerweiterung Platz zu machen. Diese Erweiterung war schon vor dem Kriege geplant gewesen, aber bislang nicht umgesetzt worden. Vom Dorf war nicht mehr viel geblieben. Es gab den kleinen Laden am Hafen noch, dort standen noch zwei, drei weitere Häuschen, in einem wohnte Hannes mit seiner Familie, den wir vom Klönschnack am Hafen kannten, weil er da an seinem Holzboot bastelte, da wohnte auch noch Fischer Oestmann, der bekannteste Fischer der Niederelbe, der gerne dabeistand und mitschnackte, dann gab es einen Lehrer und es gab noch ein paar Obstbäume, die zu Bauer Behrmann gehörten und die noch gepflegt wurden. Weiter hinten, zur Autobahn hin, die Kirche. Der Rest war verwildert, es war eine Brache, die von der Natur zurückerobert wurde. Ein tolles Gelände um zu tun, was man in der Großstadt nicht tun konnte, man konnte Feuerchen machen, Kaffee kochen, einfach etwas Blödsinn machen, ohne das gleich ein erhobener Zeigefinger drohte - man hatte seine Ruhe. Im Laden kaufte man noch etwas ein, was man brauchte, Brötchen, den tollen gekochten Schinken und etwas Käse und dann hatte man auch gut zu Essen gehabt. So hätte es bleiben können. Ja, hätte. Ende der Neunzigerjahre setzte sich dann doch der Hafen durch. Es entstand der Contaierhafen Altenwerder. Nur die Kirche blieb übrig und der Friedhof. Die Kirche ist ausgschildert. Ich stelle Gesa frecherweise direkt vor dem Tor ab.
Ein wenig unheimlich ist es schon. Das war es zwar eigentlich schon immer, aber ich habe mich früher immer sicher gefühlt dort. Das ist nun nicht mehr der Fall. In der Nähe gibt es einen Geocache, den hebe ich rasch, mache ein, zwei Fotos und dann bin ich auch schon wieder verschwunden.
Am Aluminiumwerk vorbei, komme ich nach Finkenwärder. Gleich zum Ortseingang gibt es eine Tankstelle, da stille ich erst mal Gesas Durst.
Am ehemaligen Kutterhafen mache kurz Halt und schaue ins Hafenbecken. Finkenwärder war einst die Heimat einer stattlichen Fischereiflotte, die stolz das "HF" am Steven führte. Davon ist heute so gut wie gar nichts mehr geblieben. Es gibt noch eine Handvoll an Fischkuttern, die allerdings nicht mehr die Nordsee pflügen, sondern lediglich in der Elbe fischen. Hier lag noch vor ein paar Jahrzehnten, wenn Finkenwärder Markt war, alles voller Kutter, heute ist hier ein kleiner Hafen für Traditionsfahrzeuge.
Gorch Fock hat über die Finkenwärder Fischerei ein leidenschaftliches Buch geschrieben, das sehr anschaulich Bericht erstattet darüber, wie es früher hier ausgesehen hat. "Seefahrt ist Not!" ist ein Klassiker heute. Von dem, was er da beschreibt, ist praktisch nichts mehr geblieben.
Ich fahre mit Gesa den Nessdeich entlang. Vor mir schleicht ein schwarzes Auto rum, ein unsicherer Geselle, und ich muss mich auf ihn konzentrieren und kann nicht groß rechts oder links schauen. Es geht aus Finkenwärder raus und am Airbusgelände entlang. Früher ging die Straße auch schon mal quer über die Landebahn rüber, aber das ist wohl abgeschafft. In weitem Bogen führt die Straße um die Rollbahn herum. Etwas vor mir ein weiterer Motorradfahrer, sonst nur Autos. Viele Autos. Vorbei an der Sietas- Werft und einer Blitzersäule komme ich nach Cranz. Ich biege ab ins Alte Land. Auf dem Estedeich schlängele ich mich Landeinwärts. Was mir gleich auffällt, es steht viel leer. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so gewesen. Hier hatte es immer gebrummt, hier waren immer Touristen gewesen, hier war immer was los. Langsam scheint die Region etwas in einer Art Dornröschenschlaf zu versinken. Bei ein paar schönen alten Gehöften halte ich an und mache ein paar Bilder.
Hier in der Nähe hatte eine Brieffreundin von mir gewohnt. Ich war durch eine Flaschenpost an sie geraten. Meine Tante hatte an der Elbe die Flasche gefunden, die sie vom KüMo ihres Onkels ausgesetzt hatte und mir gegeben. Wir hatten uns lange geschrieben, aber nun habe ich auch schon viele Jahre nichts mehr von ihr gehört gehabt. Was sie wohl macht, ob sie überhaupt noch lebt? Keine Ahnung. Da vorne, da hatte sie doch mit den Eltern gewohnt. Ich parke Gesa am Straßenrand. Am Klingelschild steht noch der Familienname. Also wohnen die Eltern vermutlich noch dort. Ich drücke auf die Klingel. Herzklopfen. Eine ältere Dame öffnet mir. Ich erkenne sie gleich. Sie mich aber nicht. Ich frage nach ihrer Tochter, sie ist etwas abweisend, sagt, die wohne hier nicht. Ich umreiße kurz wer ich bin und warum ich hier bin und anhand der Sachen, die ich erzähle, taut sie auf. Sie gibt mir die Adresse und die Telefonnummer und meint, sie wäre heute zu Hause, ich könne es dort also versuchen. Meine Güte ist das aufregend. Ich bedanke mich, nehme den Zettel und gehe zu Gesa zurück. Sie wohnt gar nicht so weit weg. Das liegt auf meinem Weg. Also werde ich da jetzt hinfahren. Jetzt. Motor an und Gas.
Nach wenigen Minuten stehe ich vor einem Mietshaus in Buxtehude. Ich klingele. Nach einer kurzen Zeit schnarrt der Türöffner. Ich stoße die Tür auf. Wieder Herzklopfen. Die Treppe rauf, da ist die Tür offen. Sie schaut durch die Tür und sieht mich groß an. Auch sie erkenne ich gleich. Meine Brieffreundin ist ziemlich geplättet. Mich hatte sie überhaupt nicht mehr auf der Rechnung gehabt. Es ist eigentlich auch kein Wunder, denn wir haben über zwanzig Jahre nichts mehr von einander gehört. Aber wir haben sofort wieder einen Draht zueinander. Wir sitzen gleich darauf bei ihr in der Stube, bei Kaffee und klönen- erzählen uns dies und das. Es ist ein unglaublich reicher Nachmittag.
Als ich mich verabschiede, verabreden wir, nun wieder öfter Kontakt zu halten. Das ist mit den modernen Mitteln der Kommunikation auch wesentlich einfacher geworden.
Von Buxtehude aus fahre ich über Moisburg in Richtung Tostedt. Dort biege ich auf die B75 ab. Der Wind hat noch mal aufgefrischt und weht nun ziemlich stramm. Es ist ein wenig unangenehm. Wirklich warm ist es auch nicht dabei. Ich fahre von hinten nach Buchholz hinein und suche mir meinen Weg nach Klecken. Ich möchte den Weg fahren, den ich so oft mit dem Fahrrad gefahren bin. Er geht unweit der Autobahn entlang, dann biegt er ab und führt nach Hittfeld. Aber - was ist das? Baustelle, die Straße ist gesperrt. Ich werde nach rechts abgeleitet und lande auf einer nagelneuen Umgehungsstraße. Oh! Hier hat sich aber eine Menge getan. Ich komme unterhalb des Schafkovenbergs auf einen Kreisel, da geht eine Straße nach Lindhorst weiter. Hier war nur Feld und sonst nichts gewesen. Ach je... Ich verlasse den Kreisel in Richtung Hittfeld und suche mir beim Friedhof eine Parkmöglichkeit. Ich möchte meine Eltern besuchen.
Als ich vom Friedhof komme, bin ich still geworden. Ich mache mich wieder fertig und starte Gesas Motor.
Vorne an der Kreuzung biege ich rechts ab und gleich, vor Sponagel, wieder links. Hier hatte meine Großmutter gewohnt, gegenüber das Haus von Frau Knörzer ist abgerissen worden. Ich biege in die Dorfstraße ein. Hier an der Ecke war das Haus von den Altmanns, da ist heute die Gemeinde drin. Alles sieht anders aus. Als ich zur Beerdigung meines Vaters hier war, habe ich mich abends im Dunkeln fast verlaufen. Hier habe ich Weg und Steg gekannt. Nun fremdele ich. Die Bäckerei Seifert gibt es auch nicht mehr. Schnipsel aus der Kindheit tauchen vor meinem geistigen Auge auf. Mit meiner Großmutter hatte ich mal auf dem Heimweg die Brötchen verloren, auf dem Kirchberg habe ich damals gestanden, als man die Gebäude abriß, wo sich heute das schwarze neue Fachwerkhaus befindet. Lehmbek daneben, das war der kleine Laden gewesen, in dem wir immer Einholen waren. Schlachter Lissewski gibt es noch. Ich biege ab. Da vorne war Matthies. Erst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen Seite der Straße. Irgendwann war der Teil auf der anderen Seite mal abgebrannt und damit auch das Fahrrad von meiner Großmutter, das zur Reperatur dort war. Da hatte sie dann ein Neues bekommen. Ich biege rechts ab und fahre die Mühlenstraße hoch. Hier war doch dieser kleine Weg gewesen, der zwischen Weiden und Wiesen hindurchführte...
Auf der Lindhorster Straße biege ich in Richtung Maschen ab. Auch hier ist die Straße neu gemacht worden. Ach, hier kommt die Straße von Klecken wieder raus! Ich komme durchs Industriegebiet. Matthies hat hier draußen riesengroß neu gebaut. Unglaublich. Ich komme an die Kreuzung. Karoxbostel links, Maschen rechts. Ich setze den Blinker rechts und gebe Gas. Vielleicht ist Leonhardt ja da. Gleich die erste Straße wieder links, vorbei am Studio in Maschen, gleich bei der Autobahn, und dann links ab ins Dorf. Ich biege noch zwei mal ab und dann stehe ich bei meinem Verwandten in der Straße. Sein Auto kann ich nicht sehen. Doch, da! Der kleine Campinganhänger. Und davor das Auto. Da steht er ja und must irgendwas am Kofferraum rum. Ich rolle neben ihn. "Moin!" Leonhardt schaut hoch "Ach Minya! Mensch, Du hier?" Sofort sind wir in der Unterhaltung drin und es ist, als wäre ich vor ein paar Tagen erst da gewesen. Dabei haben wir uns mindestens zwei Jahre nicht gesehen. "Komm, Olga ist drinnen, die wird sich aber freuen!" Ich stelle Gesa ab, nehme meinen Tankrucksack und den Helm und folge ihm. Olga macht wirklich große Augen. Eigentlich haben die beiden gleich eine Verabredung, aber wenn ich mal da bin, dann wird sich erst mal hingesetzt. Und es dauert nicht lange, da habe ich Brot, Butter, Kaffee, Rührei und Marmelade vor mir stehen. Ohne was gegessen zu haben, gehe ich hier nie fort. Wir unterhalten uns wunderbar, aber irgendwann müssen sie doch los zu ihrer Verabredung und ich möchte auch nach Hamburg zurück, eh es zu dunkel wird und so brechen wir gemeinsam auf. Sie bewundern Gesa noch mal, loben meinen Mut und dann trennen sich unsere Wege auch schon wieder. Schön war es mit Euch Beiden!
Von Maschen fahre ich an die Elbe nach Over. Dabei finde ich aber die Straße nicht, die ich eigentlich fahren wollte. Vielleicht sieht sie aber nur auch wieder ganz anders aus...
Hier brauche ich wegen des Windes mehrere Versuche, um ein relativ unverwackeltes Bild hinzubekommen. |
Heute abend, beschließe ich, fahre ich einfach auf der Hafenrandstraße weiter und dann Elbchaussee. In der neuen Hafencity ist ohnehin kein Stein mehr auf dem anderen, das hatte ich letztes Jahr gesehen, als ich mit Tom in Hamburg war und wir uns Fahrräder geliehen hatten. Was sollte ich dort also?
Vorbei an den Landungsbrücken und hoch nach Altona, dann nur noch geradeaus. In Blankenese mache ich noch einen Schlenker zur Bank und tanke Geld auf und danach möchte ich eigentlich noch etwas zu Trinken mitnehmen und rolle an die Essotankstelle in Dockenhuden. Aber die hat jetzt schon zu. Wie...? Das war die verlässlichste Tankstelle überhaupt... Neben mir halten zwei Frauen mit einer alten Superténéré. Das Spritfass ist bald leer und sie brauchen Sprit. Aber hier ist weit und breit keine Tankstelle mehr. Ich nenne ihnen ein paar, die mir einfallen, aber sie haben wenig Hoffnung, daß eine davon noch geöffnet haben könnte. Schließlich wenden sie und fahren zurück in Richtung Rissen. Ich fahre die paar Meter noch bis ins Hotel, in der Tiefgarage ist noch Platz für mich, sogar der Platz von gestern, ich stelle Gesa ab, mache sie für die Nacht fertig und verschwinde auf meinem Zimmer.
Es dauert heute nicht mehr lange und ich liege im Bett. Noch kurz meine Erlebnisse ins Buch geschrieben und dann geht auch schon das Licht aus. Morgen wird ein aufregender Tag werden.
Der heutige Tag war unheimlich abwechslungsreich. Es gab so viele spannende Momente, Leute, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe, Dörfer, die mir langsam fremd werden, aber auch Orte, die immer noch so aussehen, wie sie immer schon ausgesehen haben. 191 km bin ich durch Hamburg und das Alte Land gefahren und es war keinen Kilometer langweilig. Was mich besonders berührt hat, war daß ich das allererste Mal mit meinem Motorrad dort gewesen bin. Als wenn man der neuen Liebe seine Familie vorführt.
Ach das ist alles so bekannt für mich. Bei Airbus hatte ich mal gearbeitet. In Hollenstedt wohnen Bekannte. Meine Eltern wohnen in Maschen. In Hittfeld bin ich immer in die Mühle gefahren. In Meckelfeld war meine Realschule. Over kenne ich von Fahrradbesuchen her. Blankenese wohnt auch ein Bekannter von mir.
AntwortenLöschenAuch für mich also eine Reise in bekannte Vergangenheit. Schön, das alles zu lesen. Wie sich das alles fügt: damals hätten wir uns über den Weg laufen können, taten es nicht. Da mußte ich erst Motorrad fahren lernen, um jemanden aus dem Landkreis kennenzulernen ... das Leben geht sehr interessante Nebenwege!
Das stimmt! Und dann wohnt mein Verwandter auch noch praktisch neben Deinen Eltern... Die Welt ist soo winzig.
LöschenDas stimmt, die Chance, daß wir uns da schon mal hätten über den Weg laufen können ist durchaus nicht klein!
Boah, ein Gänsehaut-Bericht. Total spannend und keinen Moment langweilig. Aber gut, langweilig sind deine Berichte ja nie.
AntwortenLöschenIch würde auch gerne mal mit dem Motorrad in meine alte Heimat fahren und alles erkunden. Aber erst einmal gibt es andere Pläne :-)
Auf diese anderen Pläne bin ich schon gespannt wie ein Flitzebogen!
LöschenMit dem Motorrad entdeckt man die Gegend, die einem so vertraut ist, noch mal wieder völlig neu. So ging und geht es mir zumindest. Du hast da ja schon etwas Vorerfahrung und bist vermutlich in Deiner alten Heimat auch schon mal mit zwei motorisierten Rädern unterwegs gewesen. Ich denke aber, das könnte auch ganz schön spannend sein.
Ich schließe mich an. Gänsehaut pur, im übertriebenen Sinne würde ich "himmelhoch jauchzend" ("...wie Bolle seine Olle...") und "zu Tode betrübt" ("...bin ich still geworden...") Natürlich nicht so wirklich, aber ich musste den Beitrag erst etwas wirken lassen. Er liest sich super, ich erkenne Orte (Alter Elbtunnel) wieder, du nimmst mich wieder einmal mit. *hachwasschön*
AntwortenLöschenDankeschön!
LöschenJa, das war wirklich ein Tag, der einiges an Emotionen für mich bereit hielt. Zum Einen liebe ich die Gegend da oben, ich kenne da so viel und kenne mich recht gut aus, aber zum Anderen ist sie heute auch merkwürdig leer für mich. Weil die Leute nicht mehr da sind, mit denen ich das da erlebt habe. Dennoch komme ich immer gerne zurück.
Der Alte Elbtunnel war ein absolutes Muss für mich gewesen. Da mit dem Motorrad durch, davon habe ich lange geträumt!
Im Nachhinein schüttele ich ein wenig den Kopf über mich, weil ich nach so kurzer Fahrpraxis so eiskalt lächelnd mit dem Motorrad in eine Stadt wie Hamburg gefahren bin. Und zwar mitten rein.
Starker Stoff, dein heutiger Eintrag. Die Reise in die Vergangenheit, bekannte Orte, die heute fremd sind. Menschen, die man wieder trifft und sich mit ihnen unterhält, als wenn es nie Jahre oder Jahrzehnte lange Funkstille gegeben hätte. Schließe mich dem Gänsehautgefühl an.
AntwortenLöschenAch, und die Sache mit dem Haare trocknen... habe ich anders gelöst: für mich gibts nur noch Kurzhaarfrisuren.
Ich finde es immer wieder toll, wenn es solche Leute gibt, mit denen man auch nach Jahren, in denen man nichts von einander gehört hat, sofort wieder den ganz normalen Draht wie immer hat. Das sind auch die Leute, die nicht wegen irgendwelcher Kleinigkeiten plötzlich verschwinden.
LöschenMeine langen Haare liebe ich. Und bisher habe ich sie auch immer wieder trocken bekommen. Es dauert halt manchmal etwas länger... Das Eine bedingt das Andere. :)
Ich wollte immer schon nach Altenwerder. Jetzt ahne ich, wo ich längs muß, und werde das mit Sicherheit auch in Angriff nehmen! Dank Dir :-)!
AntwortenLöschenDie Zufahrt ist wirklich etwas kompliziert heute. Man muss im Prinzip in Richtung des Terminals fahren. Früher war die Einfahrt vorne, gleich bei der Autobahnabfahrt. Da habe ich auch zuerst gesucht, der Logik folgend.
LöschenViel Glück bei der Altenwerder - Suche! :)
Altenwerder wird am Sonntag erobert. Plan steht. Hab mir mit Street View so einiges rausgefizelt. Die Anfahrt ist etwas tricky. Wir werden den Navi bemühen und obwohl der Zettfahrer jetzt nicht so die Hilfe auf dem Beifahrersitz ist (Kartenlesen ...), werde ich notfalls Elena-Reiseschwein befragen.
AntwortenLöschenDas wird sicher eine tolle Anreise! Ich bin total neidisch! Am Sonntag kann man auch im Hafen sich noch etwas umschauen und fotografieren. Dann über die Kattwykbrücke, falls die nicht wieder mal zu ist. Oder vorher in den Harburger Hafen. Da war ich auch schon lange nicht mehr. Hach, da werd ich schon wieder melancholisch...
LöschenIch bin mir sicher, im Ernstfall wird es das Reiseschwein richten!
Übrigens - es gibt dort auch einen netten Cache...
Ich bin noch nie mit meiner PJV durch den Elbtunnel gefahren. Das sollte ich einmal tun damit ich Praxiserfahrung habe, wenn meine Wikinger aus der Normandie anreisen. :-)
AntwortenLöschenAch Kinners nee, wat scheun....
(Ich bin ein schlechter Kommentator, weil ich immer tagelang alles tief wirken lasse und dann erst in Emotionen ausbreche :-D )
Oh, das solltest Du unbedingt mal tun! Mit dem Auto ist es ja schon cool mit dem Aufzug zu fahren, aber mit dem Motorrad erst... Es gehörte mit zu meinen ersten Vorstellungen vom Motorradfahren mit dazu, noch bevor ich mich bei der Fahrschule angemeldet hatte. So beim Träumen, was ich mit dem Motorrad alles so machen könnte.
LöschenDieses tagelang wirken lassen, das kenne ich auch. Mitunter erwischt es mich dann, wenn ich abends schon im Bad bin, dann renne ich runter, werfe den Rechner an und muss es gleich schreiben...