Donnerstag, 28. Januar 2016

Gut gebrüllt! Ausprobiert: BMW S1000XR

Der freundliche Tullius und ich stehen vor der Tür. Er hält die Hand über eine rote Maschine, sieht mich fest an und raunt mir zu: „160PS! E – Gas! Die hat den Motor von der 1000R.“ Ich stehe andächtig daneben und betrachte das nagelneue Eisen. Kleine Räder, hohe Stelzen, eine rote Verkleidung, zwei Scheinwerfer. Vor uns steht die S 1000 XR. 

„Das Rad hier, das braucht Dich nicht zu interessieren, das ist für das Navi. Hier ist der Tempomat, da klickst Du Dich durch das Fahrwerk durch und da, da kannst Du das Mapping beeinflussen. Die 160PS stehen immer an, Du kannst hier bestimmen, wie hart sie Dich treffen.“

Die Worte habe ich noch im Ohr, als ich den Schlüssel in die „Ignition“ Position drehe. Noch nie hatte ich auf einem Motorrad dabei so sehr Assoziationen an Raketenstarts, wie wir sie in den Siebzigerjahren im Fernsehen gesehen hatten. Ich drücke den Startknopf. Es ist, als wenn man einem schlecht gefrühstückten Tiger auf den Schwanz tritt. Die Maschine knurrt, faucht zähnefletschend. Da spielt es sich wirklich unglaublich ab, das merke ich jetzt schon. Ich trete den ersten Gang rein und drehe am Griff. Wir setzen uns in Bewegung. Ich fahre hinter einem Fahrschulauto hinterher, das gerade bei der Motorradausbildung ist. Eben haben sie noch neben mir gestanden und er hat seinem Schützling die Dinge erklärt, die bei der Abfahrtskontrolle zu tun sind. Dann hatte der Fahrschüler den Einzylinder in Gang gesetzt, ein wenig klang das nach Dampfmaschine und war losgeeiert. Nun zuckele ich hinter ihnen her. Gut so. So kann ich mich langsam an die Maschine gewöhnen. Ich komme nicht in Versuchung gleich am Kabel zu ziehen. Erst einmal nimmt mich der Verkehr in Anspruch. Ich fahre in Richtung Innenstadt, ich möchte mir einen Weg suchen, der mich ein wenig in die Außenbezirke von Wiesbaden bringt, und dann möglichst ohne größere Staus über den Rhein. 
Bald schon rolle ich in Richtung Gibb auf dieser langen, geraden Straße. Fünfzig ist hier. Warum also fahren wir das nicht auch? Warum muss der vor mir so elendig langsam dahinschleichen? Ich lege mir Schmähungen zurecht, die ich dem vor mir genussvoll um die Ohren hauen kann, in denen die Zahl dreißig vorkommt, sowie etwas mit Schnecken - und schaue zur Untermauerung auf den Tacho. Oh shit. Wir fahren fünfzig. Ein bisschen darüber sogar. OK...
Ich komme auf die Biebricher Allee und schlängele mich durch den Feierabendverkehr. Der ist heute wieder besonders dicht, das merke ich auch gleich darauf, als ich auf den Südfriedhof zufahre. Da geht auf einmal nichts mehr. Also biege ich beim Mediamarkt ab und fahre durch zum Stadion. Nun schaue ich etwas genauer auf den Tacho. Die Maschine rollt sehr gut, die Bodenunebenheiten federt sie prima weg. Mir fällt ein schwarzer Nöppel auf der Mutter vom linken Gabelkopf auf. Da kommt ein Kabel raus. Das ist ein aktives Fahrwerk!
Dynamic ESA - Electronic Suspension Adjustment
Lenkungsdämpfer
Als ich endlich Bierstadt hinter mir gelassen habe, kann ich ein wenig Gas geben. Allzuviel traue ich mich nicht, denn die Straßen sind noch naß vom Regen des frühen Nachmittages und die Maschine gehört mir nicht. Der Motor macht die irresten Geräusche unter mir. Bröööööm, brööööööm!! Vier Zylinder toben da umeinander wie die Derwische. Allerdings, das fällt mir bald auf, nicht so soft und samtpfötig wie bei anderen Vierzylindern, die ich bisher gefahren bin. Hier gibt es durchaus ernsthafte Vibrationen am Lenker. 
Hinter ein paar Autos zuckele ich auf Medenbach zu. Die Straße ist auch hier noch naß und es gibt Gegenverkehr. Hinter Auringen kann ich Gas geben. Der Volvo vor mir macht es vor und ich ihm nach. Wie ich ihn überhole denke ich mir so „und wieso hat der denn jetzt gebremst?“ - hat er nicht. Nur ich habe Gas gegeben. Die Beschleunigung ist wirklich schwer Welt!
Ich komme in Hochheim auf die Autobahn. Souverän. Mehr kann man dazu nicht sagen. Ein kurzer Dreh am Griff und ich bin von den anderen weit genug entfernt und in Sicherheit. Die Abfahrt in Weisenau nehme ich recht sportlich. Viel schneller als sonst. An die etwas gefühllose Vorderachse habe ich mich hier schon gewöhnt, die bereitet mir hier keine Kopfprobleme mehr. Es ist möglich mit dieser Maschine und ich mache es einfach. Genauso, wie ich auf der Straße nach Bodenheim einfach etwas das Gas aufdrehe. Die anderen bleiben zurück, ich gleite noch recht entspannt dahin. 140 steht auf der Uhr, das sind 40 zu viel, also drossele ich das Tempo ein wenig. Über allem ist der gnadenlose Klang des Motors unter mir. Dieses Brüllen wird nicht vom Winde verweht wie bei Gesa, wenn ich schneller fahre. Es dröhnt, brüllt, vibriert – das ganze Ding lebt irgendwie. Die Leute drehen sich in Bodenheim nach mir um, als ich durch die schmalen Gassen rolle. Dabei hat kein Slowene am Abgasschacht die Finger im Spiel gehabt. Der Klang ist von sich aus schon so.
Die letzten Kilometer bis nach Hause vergehen buchstäblich wie im Fluge, aber ich bin am Ende fast schon froh, den lauten Motor in meiner Garage nun ausschalten zu dürfen. 
Die Bremsen: vorne Brembo...
...hinten BMW. Was immer das bedeuten mag.
Das Aufbocken auf Gesas Rollwagen geht einfach, der tiefe Schwerpunkt kommt da ins Spiel und so kann ich sie leicht in der Garage herumrangieren, was mir morgen beim Fotografieren sicher nützlich sein wird. 
Die Griffbügel sind nur aus Kunststoff. Der Kupplungshebel ist nichts für kleine, schwache Hände. Er ist nicht verstellbar.
Gut versteckt. Hinterer Bremsbehälter
Es mag zwar so ausschauen, es ist aber lediglich normale Plaste.
Gut erreichbar: Die Batterie
Für den entspannten Wochenendtrip zum nächsten Lago...
Nach dem Fotoshooting am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg zurück nach Wiesbaden. Ich beschließe, in Wörrstadt auf die Autobahn zu fahren, um wenigstens ein wenig den Tempomaten auszuprobieren und um – naja, auch mal etwas schneller zu fahren. Schon auf dem Weg dorthin fällt mir auf, daß ich die Kurven, die es dort gibt, um einiges flotter angehe als sonst. Auch hier ist der tiefe Schwerpunkt wieder mein Freund.
Auf der Autobahn muss ich erst einmal einen BMW vor mir davon überzeugen, daß es besser ist, mich vorbeizulassen und drehe dann auf. Mit einem Höllenlärm aus dem Keller schieße ich an dem BMW Fahrer vorbei und lasse ihn im Rückspiegel rasch kleiner werden. Die Zahlen im Display steigen rapide. Bei 197 muss ich Schluss machen, denn die Verkehrslage läßt noch mehr nicht zu. Das reicht allerdings auch. Der Fahrtwind ist bei dem Tempo durchaus ein Thema. Mit der höhenverstellbaren Scheibe hatte ich gestern schon mal rumexperimentiert, mich letztlich aber für die niedrige Position entschieden, weil die andere wieder unangenehme Verwirbelungen erzeugt hatte. 
Der Tempomat funktioniert prima, allerdings ist es wie im Auto auch, wirklich über lange Distanzen kann man ihn hierzulande nicht nutzen. Ein schönes Spielzeug für die Interstate, aber da nützen mir die 160PS wiederum nichts.
Das Runde über dem Eckigen: Ein Schaltblitz
Am Kreuz Mainz biege ich ab und hinter der nächsten Abfahrt stehe ich an einer Ampel. Allerdings in der Pole. Als es grün wird, ein kurzer Dreh am Griff, mit dem linken Fuß eine kleine Bewegung nach oben, zweiter Gang, noch mal, dritter Gang, ich bin schon weit den anderen voraus. Der Schaltautomat mit Blipperfunktion ist eine feine Sache. Ich kann das Gas einfach stehenlassen und schalte ohne zu kuppeln rauf und runter nach Belieben. Die letzten Kilometer durch die Stadt sind eher unspektakulär, ich schlängele mich leichtfüßig durch den beginnenden Feierabendverkehr, fahre gemütlich mit Tempomat am Rheinufer entlang und biege kurz vor Schluss noch mal auf die Tanke ab. Etwas mehr als hundert Kilometer bin ich gefahren seit gestern, knappe sieben Liter gehen in den Tank rein. Damit stimmte die Anzeige im Display ziemlich gut, die einen Verbrauch von etwas über sechs Liter prognostizierte. So ganz sparsam ist das nicht, aber wer ein Motorrad nach Benzinverbrauch kauft, der hat den Film eh nicht verstanden.


-Alle Bilder übrigens sind nicht etwa bei BMW geklaut, sondern in der eigenen Garage selbst gemacht!-

21 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Wenn die plötlich neben Gesa in der Garage stünde würde ich mich nicht wehren...
      Aber als Ersatz? Nein, dafür sind mit die Vibrationen am Handgelenk zu arg. Und die 160 PS sind wirklich viel.

      Löschen
    2. Ja genau als zweit oder dritt Fahrzeug OK. Ansonsten wäre mir das zuviel. Nicht das es keinen Spaß macht, in den meisten Fällen wird man aber zu schnell damit unterwegs sein.

      Löschen
  2. Schön nachvollziehbar. Wieder ein echter Minya Bericht!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dankeschön! Ich möchte immer wissen, wie die Dinger fahren. Wie das ist. Daß da eine Menge Engineering drinsteckt, eh klar. Das kann man auch auf der Webseite vom Hersteller lesen.

      Löschen
  3. Lass Dir die Bilder ja nicht umsonst von BMW abschwatzen....so chic bekommen die das nicht hin. ..;-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wer weiß, vielleicht melden die sich ja bei mir... :)
      Ich hätte nichts dagegen.

      Löschen
  4. Ich mag Moppeds die nicht so brav sind! Röhren, vibrieren, ballern......gerne!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh, ich auch! Hier sind die Vibrationen zum Teil aber unangenehm gewesen, weil mir die Hände davon taub wurden. Da lässt sich dann schlecht gefühlvoll Gas geben, oder bremsen.

      Löschen
  5. Klingt nach einer sehr spannenden Ausfahrt, liebe Minya. Toller Bericht! :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das war wirklich spannend! Das Ding hatte mehr PS als meine ersten beiden Autos zusammen.

      Löschen
  6. Gnadenlos gut fotografiert, Minya.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dankeschön! Ich wollte halt nicht immer am Feldweg stehen und Bilder machen... :)

      Löschen
  7. Schön geschrieben und phantastische Bilder.

    AntwortenLöschen
  8. Tolle Bilder zu einem ehrlichen Bericht - das bekommt man nicht überall ;-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mein Vorteil dabei ist ja, ich bin denen gegenüber zu nichts verpflichtet. Ich kann schreiben was mir so aufgefallen ist und wie es sich für mich angefühlt hat.

      Löschen
  9. Sehr schön und echt interessant. Manchmal wünschte ich, das ich auch ein Stück grösser wäre. Dann könnte ich auch solche Maschinen fahren :(

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mit der niedrigen Sitzbank bekommt man sie auf 820mm runter. Das sind zwei Zentimeter weniger als in der Serie. Aber wenn ich mich recht erinnere, dann ist das immer noch zu hoch für Dich, oder?
      Dafür kann ich nicht wirklich mit einer KTM Duke 390, oder so, rumfahren. Das würde grotesk anmuten...

      Löschen
  10. Meine Güte, bei dem 'rasanten' Bericht musste ich tatsächlich schneller lesen und mein Puls schoss in die Höhe, vor lauter Aufregung :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das Ding geht aber auch ordentlich zur Sache. Da hast Du recht!
      :)

      Löschen