In meiner Familie bin ich nicht die erste, die ein Motorrad besitzt. Freilich bin ich die erste Frau in meiner Familie, die solch ein Fahrzeug ihr Eigen nennt. Mein Urgroßvater hat bereits im Jahre 1908 ein Motorrad besessen. Nicht nur das, er hat bald auch ein Automobil gehabt. Er schreibt darüber in seinen Erinnerungen:
„Um die Entfernung von Mellingstedt
zu überbrücken, habe ich ein Motorrad angeschafft, Marke „Magnet“.
Ich muß erst etwas darauf üben. Es muß der Motor erst angetreten
werden, bis er warm ist. Dann setzt man das Rad von seinem Ständer
auf den Boden, wobei er Motor wieder still steht und schiebt es an,
bis er wieder anspringt. In dem Augenblick muß man, in der
beginnenden Fahrt, sich auf das Rad schwingen. Ich muß mich auch mit
dem Mechanismus erst genau vertraut machen, weil er täglich
nachgesehen werden muß. Besonders müssen die außerhalb des Motors
sich bewegenden Regulierungen der „Abreißzündung“ und der
Ventile ständig kontrolliert werden, weil sie der Abnützung durch
den Strassenstaub ausgesetzt sind. Ich kann das Rad aber doch bald
mit Vorteil benutzen. Mein Unterricht dauert von 8 – 12 und ich
kann nun zum Mittagessen zu Hause sein und den Nachmittag für meine
Arbeit benutzen. (...)“
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Mein Urgroßvater hat zwar viel fotografiert und ich habe eine Unmenge an Glasplatten und Films, aber seinen Fuhrpark hat er leider wohl nicht abgebildet. |
Von Mellingstedt im Nordosten Hamburgs, bis nach der Gegend beim Hauptbahnhof, wo er täglich hinfahren muss, sind es etwa 15 – 20 Kilometer. Die Straßen seinerzeit werden für unsere Begriffe abenteuerlichen Charakter gehabt haben. Zumindest außerhalb der eigentlichen Stadt. Dafür war das
Verkehrsaufkommen geringer.
Im Jahr darauf hat er dann ein Auto
beschafft, da es schwierig ist mit der Schule für die Kinder. Helga, das älteste Kind (meine Großmutter), entwächst der Dorfschule und die Privatschule, die sie nun besucht, um sich auf die höhere Schule vorzubereiten, erweist sich nicht als Glücksgriff. So wird für sie in Hamburg eine Schule gesucht. Der
Omnibus, der verkehrt – man darf ihn sich allerdings nicht als
einen Bus vorstellen, wie wir heute ihn kennen, sondern es handelt sich um
ein pferdebespanntes Etwas – erweist sich als äußerst
unzuverlässig und die Alstertalbahn (die heutige S1 nach
Poppenbüttel) ist noch nicht gebaut, man hat in der Zwischenzeit das
fünfundzwanzigste Jubiläum der Vermessungsarbeiten für ihren Bahndamm gefeiert.
So schreibt er also:
„Ich denke dem Mangel an einer
Verbindung dadurch abzuhelfen, daß ich ein Auto anschaffe. Eine
Garage ist ja für diesen Fall schon vorhanden. Eine Gelegenheit dazu
bietet sich, da mir ein gebrauchter Wagen angeboten wird. Es ist ein
„Piccolo“ - Wagen, der allerdings ohne Verdeck ist. Er hat Platz
für drei Erwachsene und hat außerdem noch einen Kindersitz. Der
Motor besteht aus zwei schräg zur Achse gestellten Cylindern, die
frei unter dem hohen Kutschbock liegen. Ich mache mit dem bisherigen
Besitzer des Wagens eine Probefahrt und habe von da oben einen
prachtvollen Blick in die Landschaft. Die Handhabung des Wagens ist
in mancher Weise einfacher als bei meinem Motorrad, da die
Einstellung der Gänge, der Benzinzufuhr und der Zündung alle am
Steuerrad angebracht sind. Fußhebel sind für den Leerlauf und die
Bremse da. Die Sache gefällt mir sehr gut und ich kaufe den Wagen.
Ich fahre einmal mit dem Wagen zu einem
„Lotsenabend“ in Wietzels Hotel (an den Landungsbrücken). Als
ich spät abends dann zurückfahren will und noch den Schriftsteller
Albert Helms, dessen Vorlesung mir auf dem Abend bei (Gustav) Falke so gut
gefallen hatte, mit nach seiner in Winterhude gelegenen Wohnung
nehmen will, versagt der Motor und ich muß noch in der Nacht die
Autowerkstatt von Dello in der Dammtorstraße herausklingeln. (aus den
Verkaufsräumen von Dello in der Dammtorstrasse fand übrigens später in den 60er Jahren die Übertragung der NDR Sendung „Die aktuelleSchaubude“ statt) Es zeigt sich, daß die Ventile ausgeschliffen
sind. Der Schaden soll allerdings bis zum Morgen behoben werden, aber
ich muß mir die Nacht in Hamburg um die Ohren schlagen, wobei mir
Helms getreulich Gesellschaft leistet.
Um die Weihnachtszeit fahre ich mit
Georgie (meiner Stiefurgroßmutter) zur Stadt und wir machen
Weihnachtseinkäufe. Der Wagen ist voll von Paketen. Da kommt ein
heftiger Schneesturm. Wir sind bald ganz in eine Schneekruste
gehüllt. Die Acetylenlampen gehen aus, weil sie mit Schneemassen
bedeckt sind. Ein paar Mal werden wir von Polizisten angerufen, weil
ich ohne Licht fahre, aber ich kann mich nicht darum kümmern, weil
ich schon zu sehr erfroren bin und ich muß mich fast wundern, daß
wir schließlich doch noch nach Mellingstedt hin gelangen.
Einmal fahren wir mit dem Wagen nach
Poppenbüttel zum Bäcker, um da eine Torte zu holen. Helga und Kurt
müssen bei diesem feierlichen Akt mit dabei sein. Auf dem Rückwege
aber gibt es plötzlich einen Ruck. Ich sehe die beiden Vorderräder,
das eine rechts, das andere links, abrollen, die Spitze des Wagens
stürzt nach unten und schrammt auf dem Strassenpflaster entlang. Es
sind beide Vorderachsen gebrochen. Ich muß aus dem nächsten
Bauernhause ein Pferd holen und den Wagen, nachdem er auf zwei
Tannenstämmen aufgebockt ist, nach Hause schleifen lassen. Ähnliche
Pannen, bei denen ich den Wagen weite Strecken schieben muß,
passieren noch mehr und es wird klar, daß er für einen täglichen
Verkehr für die Schulzwecke, wegen seiner nicht genügenden
Zuverlässigkeit, nicht verwendbar ist. Es wird immer deutlicher, daß
wir, wenn die Kinder nicht nur in der Dorfschule aufwachsen sollen,
in die Stadt ziehen müssen. Dazu kommt, daß mein Motorrad auch
schon in allen Teilen so ausgeleiert ist, daß die Reparaturen kein
Ende nehmen (...)“
Das Haus an der Huuskoppel in Mellingstedt wird vermietet und er zieht im Jahre 1910 mit der Familie in die Horner Landstraße nach Hamburg Horn. Sein Motorrad und das Automobil verkauft er an einen Landwirt, der den Hof Treudelberg erworben hat, bzw. an einen Autoschlosser in Bargteheide. Er schließt das Kapitel Automobil damit, daß ihn, durch die beim Verkauf erzielte Summe, der Wagen mit seinem Benzinverbrauch und den vielen Reperaturen, nur 150 Mark gekostet habe. Er hat ihn also offenbar gut verkauft.
Wenn meine Großmutter von dem Motorrad meines Urgroßvaters erzählt hat, dann habe ich mir als Kind freilich nicht ein Motorrad vorgestellt, wie es in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gefahren ist. Sondern so, wie ich Motorräder kannte, nur etwas älter halt, mit rundem Tank und so. Wie das tatsächlich ausgesehen haben mag, davon habe ich mir erst viel später eine Vorstellung gemacht. So habe ich im vergangenen Jahr dann tatsächlich live und in Farbe Motorräder aus der Zeit gesehen (klick).
Es gibt so Dinge, da wünschte man sich zuweilen eine Zeitmaschine...
Wenn meine Großmutter von dem Motorrad meines Urgroßvaters erzählt hat, dann habe ich mir als Kind freilich nicht ein Motorrad vorgestellt, wie es in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gefahren ist. Sondern so, wie ich Motorräder kannte, nur etwas älter halt, mit rundem Tank und so. Wie das tatsächlich ausgesehen haben mag, davon habe ich mir erst viel später eine Vorstellung gemacht. So habe ich im vergangenen Jahr dann tatsächlich live und in Farbe Motorräder aus der Zeit gesehen (klick).
Es gibt so Dinge, da wünschte man sich zuweilen eine Zeitmaschine...