Donnerstag, 1. Oktober 2015

Zeitenreise 2015 Tag 10 Schleswig Holstein, meerumschlungen...


+++03.06.2015+++


Unbarmherzig beendet der Wecker um sieben die Nacht. Ich schnelle aus dem Bett, sehe zu, daß ich durchs Bad komme und packe die letzten Sachen in die Tasche und den Tankrucksack. Noch ein Blick durchs Zimmer, habe ich nichts vergessen? Also los! Ich habe viel vor heute.
Rasch habe ich das Gepäck an Gesa festgezurrt und schwinge mich auf den Sattel. Der Motor brummt und dröhnt in der Tiefgarage, ich rolle ans Licht. Vor dem Haupthaus des Hotels mache ich Halt und hänge den Helm an den Lenker. Erst mal frühstücken.
Nachdem ich gegen neun vom Hof gekommen bin, rolle ich durch Schenefeld. Hier ist schon das gefürchtete "PI" auf den Kennzeichen der Autos. Entsprechend fahren die hier auch... Der Weg nach Halstenbek ist etwas zäh heute morgen. Die Ampeln sind gegen mich und die Autofahrer auch. Der Hamburger Speckgürtel ist hier etwas dicker, aber langsam mischen sich auch immer wieder längere Passagen zwischen Feldern dazwischen, es wird ländlicher.
Um die Uhrzeit habe ich keine große Lust durch die halbe Stadt zu fahren, also habe ich mich für eine etwas weitere Runde um die Stadt herum entschieden. In Bönningstedt komme ich dann auf die Bundesstraße nach Quickborn. Ich zackere mich nach Henstedt - Ulzburg durch und presche hinter Kisdorf hinaus aufs Land. Ein kleiner LKW lässt mich zwischendurch noch mal etwas langsamer fahren, aber nun komme ich gut voran.
Die Sonne hatte am Morgen in Hamburg noch geschienen, aber mittlerweile ist es wieder bedeckt. Der Osten - Wind, der gestern schon so störend war, ist heute auch immer noch da und er erscheint mir sogar noch etwas stärker als gestern. Im Augenblick kommt er stramm von vorne. So geht die Fahrt durch kleine Dörfer, mit Namen wie Stuvenborn und Poggensaal, zwischen Feldern und Wischen hindurch, bis ich nach einer Weile Segeberg erreiche.
Kurz vor Segeberg, vor einem Standortübungsplatz mitten im Nichts, sitzen drei auffallend leicht und offenherzig bekleidete junge Damen in der Einfahrt auf dort liegenden Baumstämmen. Die passen so gar nicht ins Bild. Zur Armee gehören die sicher nicht, bestenfalls haben sie mit Truppenbetreuung im weitesten Sinne zu tun. In der Heide gesteht man ihnen wenigstens noch alte Wohnwagen, oder Wohnmobile zu. Hier stehen und sitzen sie unter freiem Himmel.
Bald darauf in Bad Segeberg, komme ich an einer dieser blauen Tankstellen vorbei und Gesa stellt fast automatisch den Blinker an. Also schön, tanken wir hier. Wer weiß, wann es wieder was gibt.
Der B432 folgend, bin ich rasch aus Segeberg wieder draußen. Die Straße geht zum Teil schnurgerade durch die Landschaft. In Warder allerdings setze ich den Blinker links und fahre ab. Bald drauf tickt Gesa auch schon vor dem Friedhof von Warder. Ein Rasenmäher knattert laut. Der Friedhofsgärtner ist dabei, den Rasen zu kürzen. Ich lasse alles bei Gesa, nehme nur die kleine Kamera mit und gehe durch das Tor.
Was ich suche, springt mir gleich ins Auge. Unser Familienbegräbnis ist das zweitgrößte Gebäude hier auf dem Friedhof.
Die Familie meiner Urgroßmutter hatte hier in der Gegend durchaus ansehnlichen Besitz gehabt. Aus der Zeit stammt diese Grabstätte noch. Von dem Besitz ist hingegen so gar nichts geblieben. Ich schaue mich noch kurz etwas um und kehre dann zu Gesa zurück. Ein klein bisschen bin ich mal wieder knapp in der Zeit.
Wie ich mich fertig mache, spricht mich ein älterer Mann der in der Nachbarschaft wohnt an, als er seine Mülltonne wieder reinstellt. Holstein Kiel hat anscheinend gestern irgendetwas Wichtiges gewonnen. Ich bin aber nicht informiert und so kann ich keine größere Unterhaltung mit ihm führen. Ich verabschiede mich und lasse den Motor an. Zunächst möchte ich nach Müssen. Ich fahre am Wardersee entlang und biege dann rechts ab. Nach etwa einem Kilometer finden sich ein paar Häuser, ein alter kleiner Gutshof. Er hat auch mal zu meiner Familie gehört, allerdings nicht lange. Ich drehe noch eine kleine Runde und fahre etwas durch den Wald. Von vorne kommt ein BMW Kradist mit einer älteren Boxermaschine, einer R 90, die kleine Straße entlang. Er ignoriert mich nach Kräften. Nach einem kurzen Stück drehe ich um, weil ich hier zu weit von meinem Weg abkomme. Beim Gutshof kommt der BMWler mir wieder entgegen. Wieder sieht er mich so gar nicht. Ok, dann nicht.
Auf einer wirklich winzigen Straße komme ich nach Wensin. Ich rolle über die Bundesstraße hinweg, auf einen Schotterweg. An einer großen Scheune vorbei, entlang an der Mauer des Gartens. Ich kann schon das Haus sehen. Aber es ist alles privat, mit Schildern soll das Volk draußen gehalten werden. Ich komme nicht weiter. Vorne stehen zwei Gärtner mit ihrem kleinen Fahrzeug und schauen mich frech an. Ich steige ab. Hier ist meine Urgroßmutter geboren, hier ist sie aufgewachsen bis sie ein junges Mädchen war. Ich laufe etwas ziellos in dem öffentlich zugänglichen Teil herum und mache ein paar Bilder. 
Ich habe heute aber keine Zeit, um zu versuchen, näher ans Haus zu gelangen. Der Vater meiner Urgroßmutter hatte den ganzen Besitz verglitscht, es hatte wohl eine etwas sonderbare Auffassung von Geld und der Zahlungsmoral gegeben. "Wer seine Schulden bezahlt, schmälert sein Vermögen" war einer der Sätze, die ein Sohn von ihm geprägt hatte. Diese Ansicht war wohl bei manchen Familienmitgliedern hoch im Kurs. Ich muss mir aber über "hätte" und "könnte" keine Gedanken machen, denn meine Urgroßmutter hatte vierzehn Geschwister. Bei mir wäre von all dem hier eh nichts angekommen. Ich schwinge mich wieder auf Gesas Sattel und fahre weiter. Ich komme nach Gnissau. Hier biege ich ab, in Richtung Travenhorst und nach kurzer Fahrt nach Travenort.
Auch dieser Hof hat mal zur Familie gehört. Das ist aber auch schon lange her und so schaue ich nur kurz, mache ein Foto und bin sofort drauf wieder verschwunden.
Vorbei an Hohenhorst, das auch meinem Ururgroßvater gehörte, geht es weiter auf der größtenteils schnurgeraden B432, bis ich bei Steenrade auf ein Wohnwagengespann auflaufe. Das kann mich allerdings nicht lange stören, denn ich fahre in Pönitz von der Bundesstraße ab und schlage mich wieder ins Hinterland. Ich umrunde Scharbeutz und komme nach Neustadt in Holstein. Hier suche ich mir meinen Weg in Richtung Wasser. Es geht ein wenig durch die kleine Stadt, dann biege ich rechts ab. Durch eine Wohnsiedlung komme ich auf einen Parkplatz bei einem kleinen Yachthafen. Hier lasse ich Gesa kurz stehen und laufe mit der Kamera ein kleines Stück. Das Wasser in der Neustädter Bucht ist grüngrau und vom Wind ziemlich aufgepeitscht.
Hier ist der Wind noch mal ein gutes Stück kräftiger als im Binnenland. Ich laufe am Wasser entlang, bis ich bei den ersten Häusern stoppe. Hier etwa muss damals das Hotel Julienbad gestanden haben, wo sich meine Urgroßeltern verlobt haben. Das war 1897. Es muss dort einen gewaltigen Baum mit Bänken im Geäst gegeben haben, so daß man in seiner Krone sitzen konnte. Davon ist nichts mehr zu finden.
Ich drehe um und kehre zu Gesa zurück. Gesa ist auch immer noch da und nicht in der Zwischenzeit weggelaufen. Und auch alles was ich bei ihr gelassen habe, ist noch an seinem Platz.
Durch das Wohngebiet kehre ich zur Hauptstraße zurück. An der Kreuzung stehen Leute mit sonderbaren Lätzchen um. Das sind anscheinend Begleiterinnen einer Kinder - Fahrradgruppe. Es gelingt mir, vor dem Feld auf die Straße zu gelangen und ich komme ohne Verzögerung weiter. Ich nähere mich auf der Landstraße an die Autobahn an, biege aber nach ein paar Kilometern wieder in Richtung Ostsee ab. Ich lande wieder auf der B501.
Auf ihr geht die Fahrt flott, störende Autos überhole ich, bis irgendwann aus dem Nichts eine Linksabzweigung auftaucht. Das wäre Ihre Bundesstraße gewesen. Das wird mir aber erst klar, als ich in Dahme auf bewohntes Gebiet stoße. Da ist von Bundesstraße keine Rede mehr. Ich schaue, ob ich dann wenigstens noch was vom Meer sehen kann, aber es wird schwierig mit dem Parken. Also nutze ich den anderen Abfluss von Dahme und verschwinde wieder. Nach diesem unnötigen Schlenker bleibe ich der B501 treu, bis ich auf Steuerbord einen hohen Turm sehe. Da muss ich abbiegen. Hier in der Nähe gibt es einen Cache, das habe ich mir vorher schon rausgesucht, den hebe ich auf jeden Fall. Ich stoppe an einer geeigneten Stelle und schaue mir noch mal die Beschreibung an. Ja, das ist hier. Der Cache ist dann tatsächlich rasch gefunden und ich kann weiterfahren. Ein paar Spritzer Regen begleiten mich.
Durch Lütjenbrode komme ich nach Großenbrode. Hier schlängele ich mich durch, bis ich auf eine kleine Straße gelange, die nach Großenbroderfähre führt. Dabei überhole ich eine Fahrradfamilie, deren Sohn Schlangenlinien fährt und erst mal zur Ordnung gerufen werden muss.
In Großenbroderfähre habe ich entweder Tomaten auf den Augen, oder ich deute die Schilder verkehrt. Es sieht alles nach Privateigentum aus. Von hier scheine ich keinen Blick auf die Fehmarnsundbrücke zu haben. Also zurück. Ich gebe gerade Gas, Halt!, da eben war doch ein schöner Blick. Ich laufe drei Schritte zurück und mache mein Bild. Dann geht es weiter.
Schon als Kind wollte ich immer mal über die Fehmarnsundbrücke fahren. Meine Großmutter hatte als Andenken so einen kleinen Gucki, in Form eines Fernsehers, bei dem man Bilder von der Insel Fehmarn durchklickern konnte. Dabei war natürlich auch das berühmte Bild mit der Brücke und dem Zug, der da drüber fährt. Das hatte mich schon immer fasziniert. Dann hatte ich Anfang dieses Jahres in den Nachrichten auf NDR 90,3 gehört, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß diese Brücke abgerissen werden muss. OH NOO! Nicht bevor ich da einmal drübergefahren bin! Das werde ich nun tun!
Ich biege auf die Bundesstraße ein und gebe Gas. Kurz vor der Brücke halte ich, etwas neben der Legalität, an und mache ein Bild, dann fahre ich auch schon drüber.
Gesa schau! Der Fehrmarnsund! Die Ostsee! Wir fahren drüber! Der Wind ist hier oben, im Nichts zwischen Himmel und Wasser, noch mal eine andere Hausnummer als an Land. Auf Fehmarn angekommen, biege ich gleich an der ersten Abfahrt wieder um. Eigentlich hatte ich vorgehabt, noch ein Stück weiter nach Norden, vielleicht bis zum Niobe - Denkmal, zu fahren. Aber ich habe am Nachmittag eine Verabredung und die Zeit drängt nun wirklich so langsam. Sonst werde ich zu spät kommen. Ich muss meinen Streckenplan zusammenstreichen.
Kurz vor der Brücke halte ich noch mal an und mache ein paar Bilder, dann geht es wieder zurück zum Festland. In Heiligenhafen habe ich dann noch etwas zu tun.
Seit einiger Zeit begleitet mich ein Trackable, das ist ein reisender Gegenstand aus der Welt des Geocachings. Es ist Pelle, ein Schaf von der Insel Pellworm, dessen Aufgabe es eigentlich war, einmal zur Ostsee und zurück zu reisen. In der Nähe von Frankfurt, fernab der Ostsee, ist er mir in die Hände gefallen und er hat dankbar als Model bei einer meiner "Wolli" - Folgen mitgespielt.
Hier ist nun der ideale Ort für ihn, um auszusteigen. In Heiligenhafen gibt es einen Cache, der Umsteigeort für solche Reisenden ist. Bei ihm halte ich an. Den Behälter habe ich auch rasch gefunden und ich verabschiede mich von Pelle. Aber - was ist das? Da ist bereits ein Schaf drinnen, das weiterreisen möchte. Na, das kann ja kaum hierbleiben, entschließe ich und nehme es mit. Nun muss ich aber wirklich weiter, keine Zeit für Sentimentalitäten.
Ich rolle durch Heiligenhafen und Oldenburg und lande bald drauf auf der B202. "Kiel" steht auf dem Wegweiser. Denn man tau! Auch für diesen Teil der Strecke hatte ich mir eigentlich eine etwas andere Route ausgedacht. Eigentlich hätte es Richtung Schönberg gehen sollen, Laboe vielleicht, auf jeden Fall nicht auf der Bundesstraße. Die Zeit drängt jedoch und so gebe ich Gas. Zumindest versuche ich es. Das Kennzeichen "OH" ist anscheinend so ähnlich wie bei uns hier unten "OF" oder "EMS". Die Fahrer haben eine etwas eigene Fahrweise und vor allem ihr Fahrzeug anscheinend noch nie auf über hundert Sachen gebracht. Sicher entschuldigen sie sich jedes Mal, wenn sie aufs Gaspedal treten. Ich bekomme lange Zähne. Ein bisschen hat es was von einem Schildkrötenrennen. So zuckele ich an Lütjenburg und am Selenter See vorbei.
Was mich etwas dabei versöhnt, das ist die tolle Landschaft. Die weichen Hügel, das satte Grün, das schöne Licht. Mittlerweile ist auch die Sonne zurückgekehrt. Bei Schwentinental komme ich auf die B76, ich nähere mich dem Ziel. Die Bundesstraße ist autobahnähnlich ausgebaut und sticht besonders durch ihren Baustellen- und Verkehrsreichtum hervor. Zum Teil geht es nur im Schleichtempo vorwärts. Ich drängele mich ein wenig vor, denn die Uhr in Gesas Anzeige ist unbarmherzig.
Da ist endlich die Abfahrt in Richtung Bahnhof / City. Nichts wie runter hier. Der Verkehr in der Stadt ist etwas flüssiger. Ich kann in Richtung Hafen abbiegen und komme gut voran. Nun nur noch das Hotel finden. Es ist schon halb vier durch. Ich komme einen Hügel hochgefahren. Das kann irgendwie nicht sein, sagt mir mein Gefühl. Ich stoppe und schaue im Händi nach der Adresse. Ich muss zurück. Nach ein paar hundert Metern kann ich es schon sehen. Dort muss ich in das Parkhaus fahren. Ich ziehe ein Ticket und rolle die Wendel hoch. Das Parkhaus ist ein Sechzigerjahrebau. Erst geht es in einer engen Kurve nach oben und dann muss man sich die einzelnen Parkdecks über kleine Rampen erschließen. Ich finde die Abzweigung zum Hotelparkplatz. Nanu, der liegt ja im Freien! Ich muss mein Ticket noch mal in eine Säule stecken, die Schranke öffnet sich und ich rolle auf das zum Parkdeck ausgebaute Dach eines Gebäudes. Da drüben ist ein Schild mit Hinweis auf das Hotel. Da ist auch noch ein freier Platz, da kommt Gesa nun drauf. Ich bocke sie auf und beeile mich, daß ich das Gepäck heruntergenestelt bekomme. Die Rezeption befindet sich auf der gleichen Ebene wie das Parkdeck. Die Dame erklärt mir etwas umständlich, wie ich zu meinem Zimmer gelange und wie ich es öffnen kann. Dann hält sie mir die Tür aber noch auf und ermahnt mich, gleich noch mal zum Bezahlen herunter zu kommen. Ich aste mit meinem ganzen Gepäck die Treppe hoch und finde mein Zimmer auch in der Nähe des Treppenhauses. Uff!
Blitzeschnelle reiße ich meine Klamotten aus der roten Rolle, ziehe ich mich um, bürste die Haare, spritze mir etwas Wasser ins Gesicht und äppe kurz den Stand der Dinge durch. Es ist praktisch bereits vier, da wollte ich eigentlich schon da sein. Mist! Ich werfe die Dinge, die ich zu brauchen glaube, in den Rucksack und mache mich auf den Weg. Ich bin total aufgeregt!
Ich bezahle rasch das Zimmer, ein seltsamer Brauch - aber wenn es denn so gewünscht wird - und stürze auf die Straße. Links rum, absolutes Eiltempo! Zick - Zack! Ich schaue auf dem kleinen Plan, den ich von der Rezeption habe, wo ich lang muss und bahne mir den kürzesten Weg. Um Viertel nach Vier betrete ich dann leicht ausgepumpt das Chelsey. Eine gutaussehende große, dunkelhaarige Frau empfängt mich fröhlich: Svenja! Die Frau, die daran Schuld ist, daß ich heute tatsächlich Motorrad fahre und auch noch das Zelten angefangen habe. "Endlich mal wieder eine große Frau!" ruft sie aus, als sie mich sieht. Bislang kannten wir uns nur aus unseren Blogs, hatten lockern Kontakt, aber es ist sofort ein Gefühl, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Bei Kaffee und Limonade sitzen wir stundenlang in dem gemütlich eingerichteten Café zusammen und klönen. Übers Motorradwandern und über Fotografie. Ich zeige ihr ein paar Bilder, die ich auf dem Ipad habe und im Handumdrehen ist es kurz nach acht. So langsam muss sie nach Hause, denn sie hat morgens stets einen frühen Dienstbeginn. Ich begleite sie noch ein Stück, es ist nicht weit vom Chelsey. Unterwegs lerne ich noch Claudia kennen, sie wohnt bei Svenja um die Ecke und Svenja ruft sie kurz ans Fenster. Wir unterhalten uns ein paar Takte und dann müssen sich wirklich leider schon wieder unsere Wege trennen. Aber das wird mit absoluter Sicherheit mal wiederholt werden! Das schreit regelrecht danach! Schade, daß Kiel so weit weg ist!
Svenja hatte mir noch geraten, mir das Rathaus anzuschauen, das liegt auf dem Weg. Und in der Tat, es ist ein beeindruckender Bau. Gegenüber ist das Opernhaus. Ein Bläser des Orchesters übt bei geöffnetem Fenster. Es ist eine ganz eigentümliche Atmosphäre, als ich im Hof des Rathauses stehe. 
Ich lasse das einen Moment auf mich wirken und beschließe dann, noch ein wenig das schwindende Licht zu nutzen. Außerdem muss ich Gesa noch für die Nacht fertig machen. Und eine Kleinigkeit essen, das wäre auch fein.
Im Parkhaus, nachdem ich mich um Gesa gekümmert habe, gehe ich nach ganz oben. Vielleicht hat man ja von da einen schönen Blick. Aber es gibt in dem Sinne kein Oberdeck. Über dem obersten Deck ist ein Dach. Also schaue ich nur vom verdrahteten Fenster aus auf den Hafen.
Nun, da es sich tatsächlich anschickt dunkel zu werden, sollte ich den Programmpunkt "eine Kleinigkeit essen" angehen. Dabei stelle ich fest, daß das in Kiel zu dieser Uhrzeit nicht mehr ganz einfach ist. Die Bürgersteige werden hier recht früh eingeklappt. Das Chinesische Restaurant, das sich im Haus befindet, ist dauerhaft geschlossen, da gibt es nichts für mich.
Dennoch finde ich in der unmittelbaren Umgebung des Hotels ein Lokal, das noch geöffnet hat und auch noch Küche anbietet. Auch wenn ich der einzige Gast bin und bald drauf schon Bestrebungen bemerke, die auf Feierabend hindeuten. Das Essen ist gut und günstig, es scheint sich um ein Lokal zu handeln, in dem hauptsächlich Studenten verkehren. Dementsprechend ist alles ein wenig peppig eingerichtet. Nach dem Essen beschließe ich, den Feierabend der Leute nicht weiter hinauszuzögern und gehe rüber zum Hotel. Außerdem bin ich auch ein kleines bisschen müde.
Es dauert auch nicht lange, bis ich schließlich im Bett verschwunden bin und nachdem ich den Rest meiner Tageserlebnisse aufgeschrieben habe, fällt mir schon fast der Stift aus der Hand. Also, gute Nacht!




Meine Güte, was für ein Tag! Was habe ich heute wieder alles erlebt! Ich bin wieder an Orten gewesen, die mit meinen Vorfahren zu tun haben, ich bin durch das wirklich herrliche Schleswig Holstein unterwegs gewesen und ich habe am Ende des Tages eine unheimlich tolle, nette Frau live kennenlernen dürfen. Dieses ganze Glück kann ich noch nicht ganz fassen. Klasse!
Gefahren bin ich heute 292 Kilometer, viele davon bin ich gegen den Wind gegenan getobt, das laugt aus, aber ich bin durch die tolle Landschaft reich entlohnt worden.
Für das Zimmer in Hamburg habe ich für zwei Nächte im Hotel Blankenese 130,- Euro bezahlt. Das klingt happig, die Garage ist dafür aber frei gewesen und das reichhaltige Frühstück inklusive. Für Hamburg geht der Preis in Ordnung.

Donnerstag, 24. September 2015

Zeitenreise 2015 Tag 9 Oh Hammonia!

+++02.06.2015+++


Es sieht gar nicht schlecht aus. Die Sonne scheint, es ist wohl auch nicht zu kalt, aber es weht ein Wind. Der war gestern auch schon da gewesen.
Ich genieße es, wieder ein Bad für mich ganz alleine zu haben und wasche die Haare. Das musste auch so langsam mal sein. Mit dem kleinen Fön, der am Spiegel hängt, bekomme ich sie auch irgendwann wieder trocken und ziehe mich an. Erst mal frühstücken, alles andere bekommen wir dann.
Es ist doch kühl draußen, als ich nach dem kurzen Fußmarsch im Haupthaus angekommen bin. Ich suche mir einen Platz hinten in der Ecke, lege meine Jacke und meinen Rucksack ab und schaue mich am Buffett um. Keine Überraschungen, wie immer. Ich suche mir die Sachen, die ich gerne mag zusammen und trage die Beute zum Platz. Der Kaffee kann wie immer Tote erwecken.
Nach dem Frühstück frage ich noch, ob ich den Rasen mal kurz benutzen kann, um mein Zelt zu trocknen. Kein Problem, so laufe ich rasch hinüber und finde mich bald darauf auf dem Rasen hinterm Haus wieder ein. Im Zelt hängt noch eine Menge Wasser und es ist gut, daß ich alles mal mit einem sauberen Lappen abwische. Der Wind tut sein Möglichstes und hilft das Zelt zu trocknen. Ich muss eigentlich nur aufpassen, daß mir nichts wegfliegt. Derweil beobachtet mich das Zimmermädchen durch eines der Fenster. Aber nein, ich will nicht campen. Ich packe alles wieder in seine Beutel und muss mich nun auch sputen. Ich habe um 11.30 einen kurzen Termin in der Stadt. Also los. Ich ziehe mich rasch um, nehme meinen Tankrucksack mit der Kamera und der Wasserflasche drin, den Helm und laufe runter in die Tiefgarage. Gesa wartet schon auf mich. Einmal kurz geschaut, ob alles in Ordnung ist und dann läuft auch schon der Motor und ich rolle die Rampe hoch. Erst einmal biege ich links rum ab und fahre unten auf die Sülldorfer Landstraße. Ich möchte eben noch meine Tante besuchen. Das ist nicht weit, ein Stück in Richtung Rissen und dann wieder links. Der Friedhof hat einen kleinen Hintereingang, von da habe ich nur ein paar Schritte bis zu dem kleinen Baumfriedhof, auf dem sie begraben liegt.
Als ich wieder zu Gesa zurückkehre, fallen ein paar lustlose Tropfen. Seit dem Frühstück hatte es sich ziemlich rasch bedeckt und es ist jetzt alles grau in grau am Himmel. Es soll heute eigentlich nicht regnen, aber mit so etwas muss man hier immer mal rechnen. Ich rolle durch den kleinen Wendehammer und wieder zurück auf die Sülldorfer. Die Zeit drängt nun wirklich und ich entscheide mich also, direkt gerade durch zu fahren. Also die Osdorfer runter, über die Autobahn, dann am Bahrenfelder Markt vorbei und auf die Stresemannstraße. Hier knäult es ich erfahrungsgemäß ein wenig, wenn man sich dem Bahnhof Holstenstraße nähert. Aber heute morgen habe ich Glück, es ist zwar eine Baustelle und ein wenig Unklarheit über den Straßenverlauf, aber ich komme sehr gut durch. Unter der Sternbrücke durch und dann vorne am Pferdemarkt auf die Feldstraße abgebogen. Am Bunker vorbei, wie oft bin ich bei PPS gewesen, damals. Am Gericht vorbei, hier ist die Straße neu gemacht worden und dann die Kaiser Wilhelm Straße runter. Gleich bin ich da. Ich biege in die Großen Bleichen ab und suche mir einen Parkplatz. Auf dem kleinen Platz vor dem Broschekhaus stehen auch schon andere Motorräder, also packe ich mich dazu. Rasch den Tankrucksack abepfriemelt und ich komme pünktlich zu meinem Termin.
Wie ich aus dem Kaufmannshaus wieder rauskomme, hat es wieder begonnen etwas lustlos zu tröpfeln. Ich bin gespannt, wie es auf der anderen Seite der Elbe aussehen wird. Da geht es jetzt nämlich hin. Ich starte Gesa, rolle langsam vom Bordstein und bekomme die grüne Ampel gerade noch mit, um Richtung Rödingsmarkt abzubiegen. Ich fahre unter der Hochbahn entlang, bis ich an die Landungsbrücken komme. Blinker links und vor zum Tunnel. Die Anfahrt ist etwas anders als sonst, es wird seit Jahren dort schon gebaut und es ist immer alles anders, wenn ich wiederkomme. Ich stelle Gesa vor dem Automaten kurz ab, ziehe mir eine Karte und wie ich mich wieder in den Sattel schwinge, winkt mich auch schon einer der Männer mit den weißen Mützen zu sich herüber. Er stanzt ein Loch in die Tunnelkarte, ich rolle bis nach vorne an die andere Seite des Fahrkorbes und schon schließt sich hinter mir das Tor. Motor aus. Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Es geht abwärts. Schnell die Kamera aus der transparenten Tasche des Tankrucksackes genestelt und ein Bild gemacht.
Schon sind wir unten und das Tor wird vor mir nach oben gezogen. Rasch noch ein Bild und dann wieder Motor an und ab in den Tunnel. Vor mir sind Touristengruppen, die die Ein - und Ausfahrt der Fahrstühle auf der Nordseite verstopfen. Ich stoppe kurz.
Gesas Motor hallt donnernd von den gekachelten Wänden wieder. Die Leute machen Platz, ich kann langsam, etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit, durch die Röhre rollen. Brrrommm....! Bei jedem noch so leichten Gasstoß dröhnt es um mich herum. Es ist kühl hier unten, ich habe das Visier geöffnet, damit es nicht beschlägt, und so spüre ich noch sehr viel direkter meine Umgebung.
Ich komme auf der Steinwärder Seite an und werde gleich in einen freien Fahrkorb hineindirigiert. Motor wieder aus, das Tor schließt sich und wir gleiten wieder nach oben.
Zig Mal bin ich hier mit dem Fahrrad, mit dem Auto, oder zu Fuß durch den Tunnel durch. Aber noch nie mit dem Motorrad. Mit meinem Motorrad. Ich bin stolz wie Bolle seine Olle und rolle ans Tageslicht. Das habe ich geschafft! Klasse! Da der Tunnel saniert wird, ist immer nur eine Röhre frei. Die wird bis Mittags um eins in südlicher Richtung befahren und danach in nördlicher. Ich bin noch vor eins durchgekommen und fahre nun an der Werft Blohm & Voss vorbei in Richtung Hafen. Kopfsteinplaster wie eh und je. Dazwischen Bahngleise, die Aufmerksamkeit erfordern und Kamikaze - LKW. Nicht zu vergessen die "normalen" Autofahrer. Die fahren hier allesamt einen Zacken forscher, als in der sonstigen Stadt. Hafen ist nichts für Weicheier. Vor dem Argentinienknoten staune ich nicht schlecht. Waren da nicht mal Bahnanlagen? Ich hatte doch mit meiner Tante da drüben mal am Schleusenbeckenrand gesessen, wir waren mit den Rädern unterwegs gewesen, und machten nun Pause und verspeisten unsere mitgebrachten Krabben in Gelee und schauten aufs Wasser. Hinter uns wurde rangiert, die Lok schob den Zug an, bommbommbommbommbomm... ging das durch die ganze Wagenschlange. Danach bremste die Lok wieder, wammbammbammbammbammbamm... zog sich das alles wieder in die Länge. Das wiederholte sich etliche Male, es gehörte zur Musik des Hafens.
Nun hatten sie dort eine nagelneue Straße hingebaut. Ich biege auf sie ab, stelle aber fest, daß sie lediglich zu einem Containerterminal führt. Also wende ich und biege ab, in Richtung ehemaligen Zoll am Neuhöfer Damm. Ich möchte ganz nach vorne hin, wo damals diese Kaffeeklappe war, die es lange schon nicht mehr gibt, am ehemaligen Kraftwerk vorbei, unter der Rampe der Köhlbrandbrücke durch, vor der heutigen Einfahrt zum Containerhafen Tollerort. Dort muss ich etwas aufpassen wegen der LKW, aber ich bekomme Gesa doch gut auf den Gehweg. Ich möchte ein Bild von Gesa mit der Köhlbrandbrücke machen. Es ist aber alles recht zugewachsen in der Zwischenzeit. Also schiebe ich sie rückwärts auf den Anleger. Vorne steht ein Pärchen und schaut ein eine Landkarte. Als ich höre, daß sie Englisch sprechen, frage ich, ob ich helfen kann. Die Frau ist Deutsche und die Beiden möchten eigentlich raus aus dem Chaos des Hafens, irgendwohin ins Alte Land oder so. Da sind sie hier verkehrt. Es gibt zwar eine Hafenfähre, aber wann die fährt... Das Trajekt gibt es auch schon ewig nicht mehr, also auch keine Option. Ich schicke sie den ganzen langen Weg wieder zurück bis zum ehemaligen Zoll und erkläre ihnen, wie sie dann fahren sollen. Der einzige Weg führt über die Kattwykbrücke. Die ist noch recht weit weg. Dafür kann ich ihnen versprechen, daß danach ziemlich schlagartig Ruhe sein wird. Sie bedanken sich und radeln davon, wieder zurück, wie ich es ihnen empfohlen habe. Ich rücke Gesa noch ein wenig zurecht, mache mein Foto und verlasse ebenfalls diesen Ort.
Den Weg über die Kattwykbrücke habe ich auch vor zu fahren. Ich bin gespannt, ob sie geöffnet ist, das ist nicht immer der Fall, nicht nur weil es eine Hubbrücke ist, sie ist auch so des Öfteren gesperrt. Ich komme über die Rethebrücke, daneben bauen sie eine neue Brücke, die die alte Hubbrücke ersetzen wird. Dahinter hat sich mal wieder alles verändert. Die Straßenführung, die früher einfach und normal war, ist nun reichlich unübersichtlich geworden. Ich erinnere mich daran, daß wir hier ein paar Mal auch mit den Rädern gestanden hatten und drüben aus dem Speicher Schlagzeug gehört hatten. Da hatte anscheinend jemand seinen Proberaum gehabt. Ob es das noch gibt?
Ich fahre weiter, an der alten Hansamatex vorbei und sehe schon auf den Schildern, daß die Kattwykbrücke geöffnet ist. Glück gehabt. Sonst hätte ich über Harburg fahren müssen. Allerdings ist ein kleiner Stau dort, weil gerade ein Güterzug die Brücke überquert. Da die Eisenbahn sich die Fahrbahn mit dem Straßenverkehr teilt, müssen die Autos und LKW warten, bis der Zug weg ist.
Hinter der Brücke biege ich gleich die erste Straße nach rechts ab und augenblicklich umgibt mich tiefer Friede. Katen stehen am Deich, es ist grün, eine kleine Straße, kein großer Verkehr. Ich bin in Moorburg. Die Straße folgt sanft dem Verlauf der alten Süderelbe, die es nicht mehr gibt. Früher hat sie Alten - und Finkenwärder zu Inseln gemacht. Bis man ihr das Wasser abgegraben hatte. Vorne und hinten zu. Aus. Hinter der Autobahn biege ich rechts ab, ich möchte nach Altenwerder. Zumindest dort hin, wo es mal gewesen ist.
Ich muss lange suchen, bis ich tatsächlich die Einfahrt finde. Sie ist nun ganz woanders, als sie gewesen war. Ich komme über die alte Dorfstraße, ich bin fast schon vorne, wo die kleine Werft gewesen war, hinter dem Laden. Hier bin ich oft gewesen mit meiner Tante. Das Dorf Altenwerder, das älteste der Elbinseln, hatte man in den Siebzigerjahren niedergerissen um einer Hafenerweiterung Platz zu machen. Diese Erweiterung war schon vor dem Kriege geplant gewesen, aber bislang nicht umgesetzt worden. Vom Dorf war nicht mehr viel geblieben. Es gab den kleinen Laden am Hafen noch, dort standen noch zwei, drei weitere Häuschen, in einem wohnte Hannes mit seiner Familie, den wir vom Klönschnack am Hafen kannten, weil er da an seinem Holzboot bastelte, da wohnte auch noch Fischer Oestmann, der bekannteste Fischer der Niederelbe, der gerne dabeistand und mitschnackte, dann gab es einen Lehrer und es gab noch ein paar Obstbäume, die zu Bauer Behrmann gehörten und die noch gepflegt wurden. Weiter hinten, zur Autobahn hin, die Kirche. Der Rest war verwildert, es war eine Brache, die von der Natur zurückerobert wurde. Ein tolles Gelände um zu tun, was man in der Großstadt nicht tun konnte, man konnte Feuerchen machen, Kaffee kochen, einfach etwas Blödsinn machen, ohne das gleich ein erhobener Zeigefinger drohte - man hatte seine Ruhe. Im Laden kaufte man noch etwas ein, was man brauchte, Brötchen, den tollen gekochten Schinken und etwas Käse und dann hatte man auch gut zu Essen gehabt. So hätte es bleiben können. Ja, hätte. Ende der Neunzigerjahre setzte sich dann doch der Hafen durch. Es entstand der Contaierhafen Altenwerder. Nur die Kirche blieb übrig und der Friedhof. Die Kirche ist ausgschildert. Ich stelle Gesa frecherweise direkt vor dem Tor ab.
Ein wenig unheimlich ist es schon. Das war es zwar eigentlich schon immer, aber ich habe mich früher immer sicher gefühlt dort. Das ist nun nicht mehr der Fall. In der Nähe gibt es einen Geocache, den hebe ich rasch, mache ein, zwei Fotos und dann bin ich auch schon wieder verschwunden.
Am Aluminiumwerk vorbei, komme ich nach Finkenwärder. Gleich zum Ortseingang gibt es eine Tankstelle, da stille ich erst mal Gesas Durst.
Am ehemaligen Kutterhafen mache kurz Halt und schaue ins Hafenbecken. Finkenwärder war einst die Heimat einer stattlichen Fischereiflotte, die stolz das "HF" am Steven führte. Davon ist heute so gut wie gar nichts mehr geblieben. Es gibt noch eine Handvoll an Fischkuttern, die allerdings nicht mehr die Nordsee pflügen, sondern lediglich in der Elbe fischen. Hier lag noch vor ein paar Jahrzehnten, wenn Finkenwärder Markt war, alles voller Kutter, heute ist hier ein kleiner Hafen für Traditionsfahrzeuge.
Gorch Fock hat über die Finkenwärder Fischerei ein leidenschaftliches Buch geschrieben, das sehr anschaulich Bericht erstattet darüber, wie es früher hier ausgesehen hat. "Seefahrt ist Not!" ist ein Klassiker heute. Von dem, was er da beschreibt, ist praktisch nichts mehr geblieben.
Ich fahre mit Gesa den Nessdeich entlang. Vor mir schleicht ein schwarzes Auto rum, ein unsicherer Geselle, und ich muss mich auf ihn konzentrieren und kann nicht groß rechts oder links schauen. Es geht aus Finkenwärder raus und am Airbusgelände entlang. Früher ging die Straße auch schon mal quer über die Landebahn rüber, aber das ist wohl abgeschafft. In weitem Bogen führt die Straße um die Rollbahn herum. Etwas vor mir ein weiterer Motorradfahrer, sonst nur Autos. Viele Autos. Vorbei an der Sietas- Werft und einer Blitzersäule komme ich nach Cranz. Ich biege ab ins Alte Land. Auf dem Estedeich schlängele ich mich Landeinwärts. Was mir gleich auffällt, es steht viel leer. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so gewesen. Hier hatte es immer gebrummt, hier waren immer Touristen gewesen, hier war immer was los. Langsam scheint die Region etwas in einer Art Dornröschenschlaf zu versinken. Bei ein paar schönen alten Gehöften halte ich an und mache ein paar Bilder.
Hier in der Nähe hatte eine Brieffreundin von mir gewohnt. Ich war durch eine Flaschenpost an sie geraten. Meine Tante hatte an der Elbe die Flasche gefunden, die sie vom KüMo ihres Onkels ausgesetzt hatte und mir gegeben. Wir hatten uns lange geschrieben, aber nun habe ich auch schon viele Jahre nichts mehr von ihr gehört gehabt. Was sie wohl macht, ob sie überhaupt noch lebt? Keine Ahnung. Da vorne, da hatte sie doch mit den Eltern gewohnt. Ich parke Gesa am Straßenrand. Am Klingelschild steht noch der Familienname. Also wohnen die Eltern vermutlich noch dort. Ich drücke auf die Klingel. Herzklopfen. Eine ältere Dame öffnet mir. Ich erkenne sie gleich. Sie mich aber nicht. Ich frage nach ihrer Tochter, sie ist etwas abweisend, sagt, die wohne hier nicht. Ich umreiße kurz wer ich bin und warum ich hier bin und anhand der Sachen, die ich erzähle, taut sie auf. Sie gibt mir die Adresse und die Telefonnummer und meint, sie wäre heute zu Hause, ich könne es dort also versuchen. Meine Güte ist das aufregend. Ich bedanke mich, nehme den Zettel und gehe zu Gesa zurück. Sie wohnt gar nicht so weit weg. Das liegt auf meinem Weg. Also werde ich da jetzt hinfahren. Jetzt. Motor an und Gas.
Nach wenigen Minuten stehe ich vor einem Mietshaus in Buxtehude. Ich klingele. Nach einer kurzen Zeit schnarrt der Türöffner. Ich stoße die Tür auf. Wieder Herzklopfen. Die Treppe rauf, da ist die Tür offen. Sie schaut durch die Tür und sieht mich groß an. Auch sie erkenne ich gleich. Meine Brieffreundin ist ziemlich geplättet. Mich hatte sie überhaupt nicht mehr auf der Rechnung gehabt. Es ist eigentlich auch kein Wunder, denn wir haben über zwanzig Jahre nichts mehr von einander gehört. Aber wir haben sofort wieder einen Draht zueinander. Wir sitzen gleich darauf bei ihr in der Stube, bei Kaffee und klönen- erzählen uns dies und das. Es ist ein unglaublich reicher Nachmittag.
Als ich mich verabschiede, verabreden wir, nun wieder öfter Kontakt zu halten. Das ist mit den modernen Mitteln der Kommunikation auch wesentlich einfacher geworden.
Von Buxtehude aus fahre ich über Moisburg in Richtung Tostedt. Dort biege ich auf die B75 ab. Der Wind hat noch mal aufgefrischt und weht nun ziemlich stramm. Es ist ein wenig unangenehm. Wirklich warm ist es auch nicht dabei. Ich fahre von hinten nach Buchholz hinein und suche mir meinen Weg nach Klecken. Ich möchte den Weg fahren, den ich so oft mit dem Fahrrad gefahren bin. Er geht unweit der Autobahn entlang, dann biegt er ab und führt nach Hittfeld. Aber - was ist das? Baustelle, die Straße ist gesperrt. Ich werde nach rechts abgeleitet und lande auf einer nagelneuen Umgehungsstraße. Oh! Hier hat sich aber eine Menge getan. Ich komme unterhalb des Schafkovenbergs auf einen Kreisel, da geht eine Straße nach Lindhorst weiter. Hier war nur Feld und sonst nichts gewesen. Ach je... Ich verlasse den Kreisel in Richtung Hittfeld und suche mir beim Friedhof eine Parkmöglichkeit. Ich möchte meine Eltern besuchen.
Als ich vom Friedhof komme, bin ich still geworden. Ich mache mich wieder fertig und starte Gesas Motor.
Vorne an der Kreuzung biege ich rechts ab und gleich, vor Sponagel, wieder links. Hier hatte meine Großmutter gewohnt, gegenüber das Haus von Frau Knörzer ist abgerissen worden. Ich biege in die Dorfstraße ein. Hier an der Ecke war das Haus von den Altmanns, da ist heute die Gemeinde drin. Alles sieht anders aus. Als ich zur Beerdigung meines Vaters hier war, habe ich mich abends im Dunkeln fast verlaufen. Hier habe ich Weg und Steg gekannt. Nun fremdele ich. Die Bäckerei Seifert gibt es auch nicht mehr. Schnipsel aus der Kindheit tauchen vor meinem geistigen Auge auf. Mit meiner Großmutter hatte ich mal auf dem Heimweg die Brötchen verloren, auf dem Kirchberg habe ich damals gestanden, als man die Gebäude abriß, wo sich heute das schwarze neue Fachwerkhaus befindet. Lehmbek daneben, das war der kleine Laden gewesen, in dem wir immer Einholen waren. Schlachter Lissewski gibt es noch. Ich biege ab. Da vorne war Matthies. Erst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen Seite der Straße. Irgendwann war der Teil auf der anderen Seite mal abgebrannt und damit auch das Fahrrad von meiner Großmutter, das zur Reperatur dort war. Da hatte sie dann ein Neues bekommen. Ich biege rechts ab und fahre die Mühlenstraße hoch. Hier war doch dieser kleine Weg gewesen, der zwischen Weiden und Wiesen hindurchführte...
Auf der Lindhorster Straße biege ich in Richtung Maschen ab. Auch hier ist die Straße neu gemacht worden. Ach, hier kommt die Straße von Klecken wieder raus! Ich komme durchs Industriegebiet. Matthies hat hier draußen riesengroß neu gebaut. Unglaublich. Ich komme an die Kreuzung. Karoxbostel links, Maschen rechts. Ich setze den Blinker rechts und gebe Gas. Vielleicht ist Leonhardt ja da. Gleich die erste Straße wieder links, vorbei am Studio in Maschen, gleich bei der Autobahn, und dann links ab ins Dorf. Ich biege noch zwei mal ab und dann stehe ich bei meinem Verwandten in der Straße. Sein Auto kann ich nicht sehen. Doch, da! Der kleine Campinganhänger. Und davor das Auto. Da steht er ja und must irgendwas am Kofferraum rum. Ich rolle neben ihn. "Moin!" Leonhardt schaut hoch "Ach Minya! Mensch, Du hier?" Sofort sind wir in der Unterhaltung drin und es ist, als wäre ich vor ein paar Tagen erst da gewesen. Dabei haben wir uns mindestens zwei Jahre nicht gesehen. "Komm, Olga ist drinnen, die wird sich aber freuen!" Ich stelle Gesa ab, nehme meinen Tankrucksack und den Helm und folge ihm. Olga macht wirklich große Augen. Eigentlich haben die beiden gleich eine Verabredung, aber wenn ich mal da bin, dann wird sich erst mal hingesetzt. Und es dauert nicht lange, da habe ich Brot, Butter, Kaffee, Rührei und Marmelade vor mir stehen. Ohne was gegessen zu haben, gehe ich hier nie fort. Wir unterhalten uns wunderbar, aber irgendwann müssen sie doch los zu ihrer Verabredung und ich möchte auch nach Hamburg zurück, eh es zu dunkel wird und so brechen wir gemeinsam auf. Sie bewundern Gesa noch mal, loben meinen Mut und dann trennen sich unsere Wege auch schon wieder. Schön war es mit Euch Beiden!
Von Maschen fahre ich an die Elbe nach Over. Dabei finde ich aber die Straße nicht, die ich eigentlich fahren wollte. Vielleicht sieht sie aber nur auch wieder ganz anders aus...
Hier brauche ich wegen des Windes mehrere Versuche, um ein relativ unverwackeltes Bild hinzubekommen.
Am Elbedeich geht es entlang nach Harburg. Ich komme hinter der "kleinen Gummi" raus und biege rechts ab. Über die Süderelbe geht es nach Wilhelmsburg hinein. Weiter geht es Richtung Veddel. Ich winde mich zur Freihafenelbbrücke durch und stehe auf einmal schon wieder vor einer Sperrung. Die Brücke ist gesperrt. Das hätte man doch vorher schon mal anschreiben können, oder nicht? Während ich in meinen Helm schimpfe, wende ich Gesa und sehe zu, daß ich auf die Norderelbbrücke komme. Das geht nicht hundertprozentig legal, aber klappt letztlich. Ärgerlich, denn hier will ich eigentlich nicht hin. Also muss ich mich fügen und doch die Amsinckstraße fahren.
Heute abend, beschließe ich, fahre ich einfach auf der Hafenrandstraße weiter und dann Elbchaussee. In der neuen Hafencity ist ohnehin kein Stein mehr auf dem anderen, das hatte ich letztes Jahr gesehen, als ich mit Tom in Hamburg war und wir uns Fahrräder geliehen hatten. Was sollte ich dort also?
Vorbei an den Landungsbrücken und hoch nach Altona, dann nur noch geradeaus. In Blankenese mache ich noch einen Schlenker zur Bank und tanke Geld auf und danach möchte ich eigentlich noch etwas zu Trinken mitnehmen und rolle an die Essotankstelle in Dockenhuden. Aber die hat jetzt schon zu. Wie...? Das war die verlässlichste Tankstelle überhaupt... Neben mir halten zwei Frauen mit einer alten Superténéré. Das Spritfass ist bald leer und sie brauchen Sprit. Aber hier ist weit und breit keine Tankstelle mehr. Ich nenne ihnen ein paar, die mir einfallen, aber sie haben wenig Hoffnung, daß eine davon noch geöffnet haben könnte. Schließlich wenden sie und fahren zurück in Richtung Rissen. Ich fahre die paar Meter noch bis ins Hotel, in der Tiefgarage ist noch Platz für mich, sogar der Platz von gestern, ich stelle Gesa ab, mache sie für die Nacht fertig und verschwinde auf meinem Zimmer.
Es dauert heute nicht mehr lange und ich liege im Bett. Noch kurz meine Erlebnisse ins Buch geschrieben und dann geht auch schon das Licht aus. Morgen wird ein aufregender Tag werden.


Der heutige Tag war unheimlich abwechslungsreich. Es gab so viele spannende Momente, Leute, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe, Dörfer, die mir langsam fremd werden, aber auch Orte, die immer noch so aussehen, wie sie immer schon ausgesehen haben. 191 km bin ich durch Hamburg und das Alte Land gefahren und es war keinen Kilometer langweilig. Was mich besonders berührt hat, war daß ich das allererste Mal mit meinem Motorrad dort gewesen bin. Als wenn man der neuen Liebe seine Familie vorführt.